Story: Der Regisseur Kim Ki-duk lebt zurückgezogen in einer einsamen Hütte und ist in einer tiefen Depression gefangen. Er erledigt
nur das Nötigste und lebt ansonsten in den Tag hinein. Drei Jahre lang verharrt er schon in diesem Zustand. Obwohl er weiß, dass es Leute gibt,
die gerne wieder einen Film von ihm sehen wollen, und er gerne auch selbst wieder zum Filmemachen zurückkehren würde, kann er es nicht. Ihn beschäftigen
existenzielle Fragen, hervorgerufen durch einen Unfall am Set seines letzten Filmes, und Enttäuschungen, die er durch seine Mitmenschen erfahren musste.
Was bedeutet es für Kim Ki-duk, Filme zu drehen? Welchen Zweck haben seine Filme bisher erfüllt und kann er eine Berechtigung finden, neue Filme
zu machen? Der Regisseur wird sein eigener größter Kritiker und stellt sich in einem Zwiegespräch unangenehmen Fragen. Damit hofft er, seine Depression
überwinden und seiner Wut und Trauer Ausdruck verleihen zu können. All das verpackt Kim Ki-duk in einem Film, der ihm als Selbsttherapie dient und
nur bedingt an ein Publikum gerichtet ist, auch wenn der Regisseur Außenstehenden ebenfalls eine Erklärung dafür geben will, warum es so ruhig
um ihn geworden ist.
Kritik: Wir sind es gewohnt, von Kim Ki-duk extreme und verstörende Filme zu sehen zu bekommen. Als Zuschauer kann man seine Filme
verstehen und lieben lernen oder einfach nur hassen. Kim ist sich dessen auch selbst bewusst, aber keiner seiner Filme war bisher so ehrlich irritierend
und verstörend wie "Arirang". Hier gibt es keine Schnörkel und großartige Bildkomposition, auch wenn sich diese Aussage bei genauerer Betrachtung nicht
halten lässt, dafür entblößt der Regisseur auf schonungslose und zuweilen wirklich unangenehme Weise seine Seele. Dieses Unangenehme macht aber den Reiz des
Films aus und kann die gesamte Zeit über fesseln. Wir tauchen ein in das Innere eines komplexen Menschen, der voller Widersprüche ist und dies auch
weiß. In seinen Filmen zeigt Regisseur Kim immer wieder eine grauenhafte Welt, warum ist er dann aber so naiv, dass er besonders stark von Enttäuschungen
mitgenommen wird? Es ist besonders schwierig, sich diese Frage selbst zu stellen, doch wie mit seinen Charakteren früherer Filme geht Kim Ki-duk
auch mit sich selbst extrem schonungslos um.
Es kann nicht bestritten werden, dass in Kims letzten Filmen offensichtlich wurde, dass der Regisseur andauernd ähnliche Themen behandeln muss.
Die Welt besteht für ihn eben aus Sadismus, Masochismus und Selbstqual. In letzterer scheint er besonders gut zu sein, denn in gut 100 Minuten erleben
wir hier den Filmemacher, wie er sich selbst hasst und bemitleidet. Unweigerlich führt das, und der Umstand, dass er zu jeder Zeit offen bleibt, dazu, dass
man auch als Zuschauer mit ihm Mitleid haben muss. Ohne das wäre es wohl schwierig geworden, den gesamten Film über seinen Selbstqualen als Zeuge
beizuwohnen. Mit "Arirang" schafft er aber auch für das Medium Film etwas Neues, in gewisser Weise erfindet er sich neu, obwohl man wohl davon ausgehen
kann, dass es sich hierbei um keinen Pfad handelt, den Kim auch zukünftig beschreiten wird. Er hält schlichtweg die Kamera auf sich gerichtet und
reflektiert über sich, sein Leben und seine Arbeit. Die Erkenntnisse, zu denen er dabei gelangt, sind nicht verschlüsselt, wie in seinen sonstigen
Werken, sondern klar ersichtlich.
Kim Ki-duk hätte es dem Zuschauer aber sehr schwierig gemacht, hätte er sich in einem endlosen Monolog vor die Kamera gesetzt und unter Tränen von
seinem Leben erzählt. Stattdessen befragt er sich selbst, einmal muss er sogar die Fragen seines Schatten beantworten, und wenn er unter Alkoholeinfluss
auch etwas sentimentaler wird, dann bekommen wir ihn gleich darauf zu sehen, wie er sich seine Aufnahmen selbst ansieht und laut fragt: "Warum weint dieser Idiot
denn jetzt?" Kim bringt also auch eine gute Portion Selbstironie mit und beweist damit, dass die Szenen seiner bisherigen Dramen, in denen man wegen diverser
Merkwürdigkeiten am liebsten loslachen wollte, aber sich dabei unsicher blieb, auch gar nicht nur ernst genommen werden sollten! Faszinierend ist auch,
dass wir Kim sehen, wie er sich sein eigenes Interview anschaut, während dieses aber weiter läuft. Das gibt "Arirang" zuweilen auch eine
ungewöhnlich verschachtelte Struktur, die auch die diversen Hüllen des Menschen Kim Ki-duks symolisieren und entblättern.
"Arirang" wurde lediglich mit einer Digitalkamera aufgenommen und kommt ohne künstliche Beleuchtung oder ähnliches aus. Kim betont auch selbst, dass
heutzutage viel zu viel Wert auf ein gewisses Äußerliches gelegt wird. Dabei bestechen seine Filme doch auch immer wieder durch schöne Bilder. Ihn
stört allerdings das Einheitliche im Look koreanischer Filme. Er selbst schafft es in "Arirang" aber trotz seiner minimalen technischen Mittel ein paar
schöne Bilder der einsamen Hütte einzufangen. Völlig ungefiltert und strukturlos kommt sein Film dankenswerterweise auch nicht daher. Anstatt endloser
Monologe, gibt uns Kim immer wieder in sehr ruhigen Szenen, in denen wir ihn bei seinem unspektakulärem Alltag oder bei der Reperatur diverser
Maschinen beobachten, die nötigen Pausen, um das von ihm Gesagte wirken zu lassen. Sein inneres Leiden bringt er auch immer wieder im Gesang des
koreanischen Volkslieds Arirang, dem Namensgeber des Films, zum Ausdruck, das er mal ruhig und melancholisch, an anderer Stelle aber voller Qualen
hinausschreit. Für ihn beschreibt dieses Lied das Leben. Mal geht es bergauf, mal geht es bergab...
Es ist ganz eindeutig, dass Kim Ki-duk wieder den Weg bergauf sucht. Dafür muss er jedoch auch seiner Wut Raum geben. Deshalb baut er sich eine Pistole,
die im Übrigen selbst ein kleines Kunstwerk ist - über die Bedeutung des Buddhas auf dem Pistolengriff lässt sich ausschweifend diskutieren -, und
nimmt Rache an ein paar Personen. Wer das ist, das wissen wir nicht, Kim Ki-duk zeigt uns nur ein paar Orte, an die er fährt. Die Personen, die gemeint
sind, werden aber sicherlich ihren Arbeitsplatz/ihr zuhause wiedererkennen. Am Ende überschreitet also auch dieser Dokumentarfilm, man kann ihn auch
Drama nennen, die Grenze zum Fantastischen. Was bleibt aber am Ende? Der Zuschauer ist aufgewühlt, verwirrt und fühlt sich seltsam berührt. Wer zuvor
kaum etwas über Kim Ki-duk wusste, wird in diesem schonungslosen Selbstporträt des in tiefe Depressionen versunkenen Regisseurs viel über ihn lernen.
Viele seiner Aussagen beinhalten ehrliche Lebensweisheit, so wie "Arirang" im Gesamten ein beeindruckend ehrlicher und persönlicher Experimentalfilm ist.
Kein Film, der zur Unterhaltung geschaffen wurde, aber einer, der noch Tage danach die Gedanken beschäftigen wird. Kim Ki-duk hat endlich wieder etwas
Neues geschaffen und damit zugleich sich selbst therapiert. Denn sein neuer Film "Amen" ist bereits abgedreht...