Story: Masuoka (Shinya Tsukamoto) ist ein freischaffender Kameramann, der das Leben eigentlich nur noch durch
seine Kameralinse betrachtet. Vereinsamt und ohne jeglichen Draht zu anderen Menschen sucht er immer wieder nach dem
Unbekannten und Terror. Eines Tages filmt er einen Mann, der in einer U-Bahn Station Selbstmord begeht. Was auch immer
ihn dazu getrieben hat, die blanke Angst stand ihm zuvor in den Augen. Masuoka ist nun besessen davon den Grund für
diese Angst herauszufinden. Was hatte der Mann gesehen kurz bevor er starb?
Die Nachforschungen des Kameramanns bringen ihn in die tiefsten Katakomben und Tunnel unterhalb Tokyos. Dort scheint
eine ganz andere Welt zu sein, bei der es sich um nichts anderes als die Abyss handelt. Gefährliche und
angsteinflößende Kreaturen, die "Deros", scheinen dort zu hausen. Doch er findet dort auch ein merkwürdiges Mädchen
(Tomomi Miyashita), das er fortan F nennt. Er nimmt sie nach Hause und hält sie dort als Haustier, da sie sich nicht
wie ein Mensch benimmt. Sie isst und trinkt nichts, bis Masuoka dahinterkommt, dass sie nur Blut trinkt, am liebsten
menschliches. Ist F etwa eine der "Deros" und kann sie ihm weiterhelfen den wahren Terror zu finden? Masuoka denkt
zumindest Letzteres und beginnt ihr Nahrung zu besorgen...
Kritik: "Marebito" ist ein intensives und beängstigendes Filmerlebnis, sofern man etwas mit Horror anfangen kann,
der hauptsächlich von seiner düster beklemmenden Atmosphäre lebt und der sich mehr im Inneren der Protagonisten
abspielt. Wer sich nicht darauf einlassen kann, der wird den Film etwas zu langatmig und konfus finden. Tatsächlich aber
beweist Regisseur Takashi Shimizu ("Ju-on: The Grudge"), dass er innerhalb von nur 8 Tagen und mit minimalen Mitteln
einen Film auf die Beine stellen konnte, der nicht nur beunruhigend, sondern auch tiefsinnig und vielschichtig ist.
Wer also einen typischen J-Horror-Film erwartet ist hier falsch, doch gerade das macht "Marebito" eben so lohnenswert zu
sehen.
Masuoka ist ein Mann, der keinen zwischenmenschlichen Kontakt zu anderen Personen aufbauen kann. Er lebt einsam und
zurückgezogen in einer kleinen Wohnung. Die Welt kann er nur durch eine Kameralinse wirklich betrachten. Ein
merkwürdiger Mann, in dessen Leben wir allerdings sofort gekonnt eingeführt werden. Masuoka betätigt sich dabei selbst
als Erzähler der Geschichte, bringt uns seine Gedankengänge näher und wir sehen fast immer nur das was er sieht. Doch
das muss nicht immer die Wahrheit sein. Masuoka ist ein depressiver Mann, der eine Scheidung hinter sich hat und das
Sorgerecht für seine Tochter abgesprochen bekam. Eigentlich würde er sich am liebsten umbringen, zumindest legt das eine
Szene an einer Straßenbrücke nahe, doch er scheint es nicht zu können. Ist es die Angst vor dem Tod? Vielleicht ist das
der Grund warum er so fasziniert ist von dem panischen Blick in den Augen des Selbstmörders in der U-Bahn. Wenn er
auch das Grauen sehen könnte, das dieser sah, würde er vielleicht Angst vor etwas noch Größerem haben und könnte sich
endlich das Leben nehmen.
Das sind nur ein paar der vielen Verknüpfungen, die man anstellen muss um dem Film einigermaßen folgen zu können.
Vieles bleibt offen und/oder der Interpretationsfähigkeit des Zuschauers überlassen. Wer sich allerdings die Mühe
macht nachzudenken, der wird vieles verstehen, das anfangs noch unlogisch erschien. "Marebito" ist überdies ein Film,
den man am Besten mehrmals gesehen haben sollte um ihn vollends fassen zu können.
Die Story ist also komplex, spielt sich aber mehr auf psychischer Ebene ab. Ist Masuoka einfach nur verrückt und ist das
was er sieht darauf zurückzuführen, dass er seine Medikamente abgesetzt hat? Lange Zeit tappt man diesbezüglich im
Dunkeln und wer sich darüber keine Gedanken macht, wird wohl einfach nicht mit den Geschehnissen im Film zurechtkommen.
Dabei macht es der Film dem aufmerksamen Zuschauer eigentlich gar nicht so schwierig. Eine merkwürdige Frau erscheint,
die ihre gemeinsame Tochter zurückhaben will, ein mysteriöser Mann sagt Masuoka, dass er sich nicht um "F" kümmern kann
etc. Das Puzzle kann also sogar recht einfach zusammengesetzt werden, aber der Film hört da eben nicht auf, sondern
besitzt noch ein paar mehr Ebenen. Das ist der Teil wo es kompliziert wird und gerade das Ende mag da für einige
vielleicht ein wenig zu viele Fragezeichen entstehen lassen. Aber auch hier gilt: aufpassen, reflektieren,
interpretieren und evtl. ein erneutes Ansehen werden einen erkennen lassen, dass Shimizus Werk ein kleines Meisterwerk
ist.
"Marebito" ist ein Film, der von seiner verstörend, gruseligen Atmosphäre lebt. Die erste halbe Stunde ist dabei
besonders spannend. Wenn Masuoka immer weiter in die tiefen geheimen Katakomben unterhalb Tokyos abtaucht, wobei das
Geschehen auch immer wieder durch die grobkörnige Kameralinse Masuokas selbst gezeigt wird, fühlt man sich sehr stark
an "Silent Hill" erinnert. Auch in der japanischen Gruselspielreihe stand der verquere und aus dem Abgründen der
menschlichen Seele stammende Horror im Vordergrund. Ein düsterer, minimalistischer Soundtrack unterstützt die
dichte Atmosphäre noch zusätzlich und wir wandern mit dem Kameramann in eine geheimnisvoll dunkle Welt, die auch von
H.P. Lovecraft persönlich hätte stammen können. Die etlichen Tunnelgänge, Wendeltreppen und engen Korridore lassen in
einem wirklich das Gefühl entstehen, dass wir eine Welt tief unterhalb unserer betreten, die aus gutem Grund
begraben ist. Masuokas Erzählungen über geheimnisvolle Fabelwesen, Löcher in der Welt und dem Wesen der Abyss lassen
uns einen kalten Schauer den Rücken runterlaufen. Grandioser, ungewöhnlicher Horror.
Das Tempo nimmt später zwar etwas ab, doch bleibt es trotz allem immer spannend, sofern man bereit ist sich in dem
Film und der Stimmung, die dieser erzeugt zu verlieren. Etliche Frage schwirren einem durch den Kopf, auf die man
hofft irgendwann die Antwort zu bekommen und manche sprunghafte Schnitte erfordern immer mal wieder eine
Neuorientierung.
Shinya Tsukamoto, der sich selbst als Regisseur von Filmen wie "Tetsuo - The Ironman" oder "Vital" einen Namen gemacht
hat, zeigt erneut seine schauspielerischen Fähigkeiten. Obwohl wir von Anfang an wissen, dass er mit Sicherheit nicht
normal ist, können wir uns doch schnell in seine Welt hineinfinden. Ansonsten muss er zwar keine außergewöhnlichen
Leistungen ablegen, da sich das meiste eh zwischen den Zeilen abspielt, dennoch schafft er es gekonnt den Film zu jeder
Zeit zu tragen. Er ist eine von der Gesellschaft entfremdete Person, die von der Idee besessen ist, den Terror bzw.
das Grauen finden zu müssen. Natürlich führt ihn sein Weg dabei in seinen eigenen Verstand, wo er in einen Strudel des
Wahnsinns gerät...
Ebenfalls nicht zu verachten ist die tolle Leistung von Tomomi Miyashita, die als mysteriöses Wesen einem durchaus den
ein oder anderen Schauer bescheren kann.
An einigen Stellen kann man "Marebito" ansehen, dass nicht viel Geld zur Verfügung stand, z.b. bei einigen wenigen
Special Effects. Trotzdem schafft es Takashi Shimizu einen atmosphärisch extrem dichten, faszinierenden und
gruseligen Film zu schaffen, auch wenn oder gerade weil die Schocker hier anders und mehr unterschwellig sind als
gewohnt. Es dreht sich eben alles um die Abgründe, die man in der menschlichen Seele vorfinden kann, und das sind
nunmal die Erschreckendsten.
Mit seinem Hang zu leisen Tönen mag der Film nicht jeden ansprechen, doch wer einen anspruchsvollen, intelligenten
und atmosphärisch dichten Psycho-Horrorfilm sucht, bei dem man auch mal seine grauen Zellen anstrengen muss,
der ist bei "Marebito" genau richtig aufgehoben.