Story: Joong-shik (Lee Sun-kyun) ist für den tragischen Unfall des Kinds seiner Liebhaberin verantwortlich. Von Schuldgefühlen
geplagt, verlässt er Seoul und geht in die kleine Stadt Paju, wo er Kinder und Jugendliche in Religion unterrichtet. Eine seine Schülerinnen
ist Eun-mo (Seo Woo), deren Schwester Eun-soo (Shim Yi-young) ein Interesse an Joong-shik hat, bis die beiden schließlich heiraten. Eun-mo
hat aber etwas gegen ihren Schwager und glaubt, dass ihre Schwester ihn nur wegen des Geldes geheiratet hat. Sie flüchtet von zuhause, doch
kurze Zeit danach geschieht ein tragischer Unfall. Erst Jahre später kehrt Eun-mo zurück, aber die Umstände, die zum Unfall führten, liegen noch
im Dunkeln. Langsam versucht sie der Wahrheit näher zu kommen und sie versucht auch mit Joong-shik die Vergangenheit wieder aufzuarbeiten. Ihr
Schwager ist währenddessen damit beschäftigt, als Hausbesetzer ein paar lokale Gangster davon abzuhalten, im Auftrag der Stadtverwaltung eine
Wohnhaussiedlung abzureißen. Es scheint so, dass er sich so stark für die Nöte anderer einsetzt, um seine eigenen emotionalen Narben auszuheilen.
Kritik: Park Chan-ok hat sich nach ihrem Drama "Jealousy is my Middle Name" ganze sieben Jahre Zeit gelassen, bis sie mit "Paju" ihren
nächsten Film über verschüttetes Leid und verborgene Emotionen drehte. Ihr neuestes Werk ist für den Zuschauer emotional auch besser zugänglich
als ihr Debüt, dennoch bereitet vor allem der Einstieg erheblich Probleme, was an der dürftigen Informationsausgabe und den zum Teil unübersichtlichen
Zeitsprüngen liegt. Dafür erweist sich "Paju" aber als erstaunlich vielschichtig, tiefgründig und lohnenswert. Das allerdings nur, wenn man
bereit ist, eine gute Portion Eigenarbeit in den Film zu stecken. Denn nur wenn man die erste Stunde des Films über am Ball bleibt und sich durch
wirre und spärlich einstreute Informationen hindurcharbeitet, kann sich die eigentliche Kraft des Film entfalten. Damit erweist sich "Paju" als ein
Film, der nicht beim breiten Publikum großen Anklang finden wird, aber doch eine schöne Belohnung für all jene bereit hält, die bereit sind, sich
auf die etwas verschachtelte Erzählstruktur einzulassen.
Schon am Anfang bekommt man als Zuschauer schnell Probleme, den Überblick zu bewahren. Wer ist wichtig für die Geschichte und wer nicht? Alleine
diese Frage muss man für sich in der ersten halben Stunde beantworten, bevor man überhaupt anfangen kann, die restlichen Infomationen in einen
Zusammenhang zu setzen. Das wird noch dadurch erschwert, dass wir immer wieder Sprünge in die Vergangenheit machen und dabei die sich immer wieder
im Aussehen wandelnde Eun-mo vom Rest der Besetzung unterscheiden müssen. Nach der ersten Hälfte des Films hat man jedoch ein Gefühl für die
Erzählweise des Films gefunden und dann wird das Zusehen weitaus weniger anstrengend. Dennoch fällt es zuweilen schwer, die richtigen Zusammenhänge
zu finden, gerade weil wir nicht immer mit Fakten konfrontiert werden, sondern mit subjektiven Wahrheiten. Glücklicherweise bekommen wir aber
doch genügend Information, dass wir nicht die ganze Zeit über im Trüben fischen müssen, ein Problem, das Parks Debutwerk auszeichnete.
Die Schwierigkeit alle Puzzleteile zu einem Ganzen zusammenzusetzen, rührt auch daher, dass manche Personen des Films bestimmte Teile bewusst
zurückhalten und dafür auch ihre Gründe haben. Das Verhalten der beiden Hauptpersonen ist auch oft nur retrospektiv nachvollziehbar oder wenn
man genügend Mühe in die Interpretation des gebotenen Materials steckt. Die komplizierte Beziehung zwischen Eun-mo und Joong-shik steht dabei
im Zentrum der Geschichte und wird zusammengehalten durch ein Unglück, das sie beide direkt beeinflusst. Da der Zuschauer die Perspektive beider
Personen zu sehen bekommt, kann er sich auch ein vollständigeres Bild machen als die beiden Charaktere und deswegen kann man Eun-mo und ihrem Schwager
auch keine Vorwürfe wegen ihres Verhaltens machen. Gerade Joong-shiks Verhalten ist für den Zuschauer wegen der Einarbeitung seiner tragischen
Vergangenheit nur allzu gut nachvollziehbar, selbst wenn wir der Überzeugung sein sollten, dass das, was er tut, nicht das Richtige ist.
Seo Woo ("Crush and Blush") schafft es durch viele Lebensabschnitte zu wandern und dabei glaubwürdige Wandlungen durchzumachen. Ihre Darstellung
als rebellische und dennoch unsichere Teenagerin sind genauso glaubwürdig wie ihr verletztes, wenn auch etwas sicheres Selbst in späteren
Jahren. Lee Sun-kyuns ("Sa-kwa", "Coffee Prince") Darstellung ist etwas subtiler, aber er trägt das Drama des Films damit mindestens genauso gut.
Die komplexe Erzählstruktur erweist sich gegen Ende auch als Stärke für all jene, die den Überblick über die Geschichte behalten haben. Die
Auflösungen können zu ein paar überraschend emotionalen Szenen führen, die den Zuschauer tatsächlich berühren können. Damit wird die emotionale
Reserviertheit vom Rest des Films als gar nicht mehr so störend empfunden, da wir wissen, dass unter der kühlen Oberfläche des Films und der
Figuren in Wirklichkeit ein Vulkan aus Gefühlen brodelt.
Lobenswert ist auch, wie Regisseurin Park das Thema der Gentrifizierung in den Film webt und damit auch ein paar actionlastigere
Momente schafft, die sich trotz des ansonsten ruhigen Dramas erstaunlich nahtlos in den Film fügen. "Paju" ist noch keine Stadt, aber auch kein
Dorf und liegt nahe an der koreanischen Grenze zum kommunistischen Norden. Dementsprechend verarmt sind die meisten Stadtteile und dagegen geht die
Regierung mit ihrer radikalen Umsiedlungspolitik vor. Den Rahmen für diese gelungene Einarbeitung eines politischen Themas in ein ansonsten
eher subtiles Drama um zwischenmenschliche Beziehung zu finden, ist sicherlich keine leichte Aufgabe, aber hier zeigt sich wieder die Stärke der
am Anfang als zu komplex empfundenen Erzählweise. Für diesen Umstand gibt es dann auch einen Bonus in der Bewertung, denn auch wenn "Paju"
mit seinen durchwegs ansprechenden und ruhigen Bildern manchmal wie langweiliges Arthaus-Kino aussehen mag, schafft er es doch, die Geduld des Zuschauers
am Ende zu belohnen.