Story: Yong-ho (Sol Kyung-gu) geht auf ein Klassentreffen. Seine ehemaligen Kameraden hat er seit 20 Jahren nicht
mehr gesehen, weshalb sie sich umso mehr freuen ihn wiederzutreffen. Doch Yong-ho benimmt sich äußerst merkwürdig und fast
schon geistig verwirrt. Er taumelt auf die in der Nähe befindlichen Gleise und stellt sich vor einen Zug. Seine
letzten Worte: "Ich will zurück!", begleiten uns als wir eine Reise zurück in seine Vergangenheit machen.
Zuerst begeben wir uns drei Tage zeitlich zurück. Wir erfahren, dass sich Yong-hos Frau Hong-Ja (Kim Yeo-Jin) von ihm
hat scheiden lassen und ihre gemeinsame Tochter mit sich genommen hat. Weil er sein Geld falsch angelegt hat ist Yong-ho
außerdem pleite und seine damalige erste Liebe Sun-im (Moon So-ri) liegt im Sterben.
Wir reisen durch verschiedene Kapitel von Yong-hos Leben, beobachten ihn wie er als Geschäftsmann viel Geld verdient,
jedoch seiner Frau untreu ist, oder wie er vorher als Polizist seinen Lebensunterhalt mit Folterungen verdient hat.
Mit der Zeit erfahren wir, dass Yong-ho nicht immer das Monster war, das er jetzt ist. Allerdings hat ihn ein
einschneidendes Erlebnis beim Militär zu dem mitleidserregenden und verabscheuungswürdigen Menschen gemacht, der er
jetzt ist. Der Film endet genau an dem Ort, wo er 20 Jahre später anfängt, nur dass wir nun einen komplett anderen
Menschen vor uns sehen, dem seine zukünftigen Schicksalschläge nicht bewusst sind...
Kritik: "Peppermint Candy" ist ein ungemein vielschichtiger und interessanter Film. Ein wenig Geduld sollte man
allerdings mitbringen, denn nur langsam kann sich Lee Chang-dongs Werk in die Herzen der Zuschauer spielen.
Dafür dann aber umso mehr.
Anfangs ist uns das Tempo einfach zu langsam und obwohl uns die Erzählstruktur fasziniert,
können wir doch nur wenig Sympathie für den Hauptdarsteller entwickeln. Nichtsdestotrotz ist es vor allem der
großartigen Leistung Sol Kyung-gus zu verdanken, dass sich dies ändert.
Metapherartig wird die Reise in Yong-hos Vergangenheit von einem Zug dargestellt, der uns rückwärts durch die
einzelnen wichtigen Etappen des Haupcharakters transportiert.
Einen Film rückwärts zu erzählen ist zwar außergewöhnlich, aber nicht das einzigste oder erste Mal, dass sich Filmemacher
dieses Stilmittels bedienen. Der bekannteste Vertreter dieser Technik und nebenbei bemerkt ebenfalls ein hervorragender
Film ist "Memento", auch wenn dieser erst im Jahr 2000 gedreht wurde, also ein Jahr nach "Peppermint Candy".
Die Erzählweise hat ihre Vorzüge. Der Zuschauer ist an der Vorgeschichte interessiert, bekommt sie häppchenweise
präsentiert und muss dabei noch aufpassen jegliche Anspielungen mitzubekommen um am Schluss das Puzzle richtig lösen
zu können. Hier hat man also auch ein bisschen was für die grauen Zellen und das kann manchmal eben sehr lohnenswert
sein. Dem Zuschauer macht es Spaß, es erfüllt ein gewisses Maß an künstlerischem Anspruch und am Ende ist man irgendwie
auf eine außergewöhnliche Art befriedigt.
"Peppermint Candy" eröffnet einem am Schluss jedoch sogar noch eine andere Art der Betrachtungsweise, die man
nicht teilen muss, die aber eine schöne Alternation mit ins Spiel bringt. Doch dazu später mehr.
Yong-ho ist ein komplexer Mann. Mal kühl, emotionslos und unnahbar und nur wenige Augenblicke später ein ausgebrochener
Vulkan aus dem die Aggressionen und Emotionen nur so heraussprudeln. Sol Kyung-gu ("Public Enemy", "Rikidozan") gibt
hier eine genauso perfekte wie vielschichtige Darstellung ab. In jedem Kapitel seines Lebens verhält er sich ein
wenig anders und wenn man ihn mit dem Mann vergleicht, der er 1979 war und seinem jetzigen Charakter, so glaubt man sogar
zwei unterschiedliche Personen vor sich zu haben.
Yong-ho hat eine Frau geheiratet, die er nicht liebt, einen Job, der ihm nicht viel bedeutet und dennoch verliert er
alles. Seine Träume scheint er schon vor langer Zeit aufgegeben zu haben, doch was war es, das ihn so apathisch hat
werden lassen. Seine Zeit bei der Polizei, bei der er gezwungen wurde zu foltern? Nein, die Entscheidung, die ihn
geradewegs auf den Pfad zum Abgrund führte liegt viel weiter zurück - in seiner Zeit beim Militär.
Es ist kein Zufall, dass Yong-ho ein Abziehbild der damaligen Zeit ist, der alle wichtigen politischen Ereignisse am
eigenen Leib erfahren musste. So verliert er sein ganzes Geld in der Wirtschaftskrise Süd-Koreas im Jahr 1997 oder war
beim Kwangju Massaker anwesend. Wenn man will unternehmen wir mit Yong-ho also auch eine Reise in die Geschichte Koreas
und der Regisseur lädt auch bewusst dazu ein den Film in einem politischen Licht zu betrachten. Das muss man aber nicht,
denn auch ohne Vorwissen der koreanischen Geschichte macht alles Sinn. Yong-ho hat sich von der Gesellschaft formen
lassen, nachdem er seine eigenen Ansprüche an sie hat fallen lassen. Er lebt nur noch des Lebens willen und erledigt
mehr oder minder seine Rolle, versagt dabei aber komplett als Mensch, denn seine Seele hat er schon vor langer Zeit
verloren. Dieses eine Ereignis in seiner Vergangenheit machte ihn zu dem tragischen und bemitleidenswerten Mann, der
er am Ende ist.
Wenn wir dann schließlich am Ende des Films angekommen sind, befinden wir uns am Anfang von Yong-hos Leben
als er noch Fotograf werden wollte und seiner Liebe des Lebens Sun-im hinterherschaute. Gerade hier wird einem die
Bitterkeit der Geschichte bewusst, denn er weiß noch nicht welche grausamen Ereignisse ihn erwarten. Oder hat er
vielleicht eine Vorahnung? Mit einem kleinen Satz, dass er ein Deja-vu habe, bringt der Regisseur einen ganz neuen
Twist in die Geschichte. Wird es Yong-ho diesmal besser machen, ist er also wirklich an den Anfang zurückgekehrt?
Auch wenn es der ein oder andere Zuschauer gerne so hätte, wahrscheinlich ist es nicht so. Und so bekommen die
Tränen die Yong-ho am Ende wegen der schönen Szenerie vergießt einen sehr bitteren und bewegenden Beigeschmack.
Es gibt viel in "Peppermint Candy" zu entdecken. Die meisten Aufnahmen sind sehr lange und ohne einen Schnitt
gefilmt worden, was dem Werk etwas natürliches und dokumentarisches gibt, ohne dass auf das Stilmittel der nervenden
verwackelten Handkamera zurückgegriffen werden muss.
Etliche Kleinigkeiten wie Yong-hos Hund, die Pfefferminz-Bonbons,
oder Bekannte bekommen erst im weiteren Verlauf der Geschichte, also in der Vergangenheit, ihren Sinn, den sie in
der Zukunft haben sollen. Das bedeutet, dass der Film regelrecht darum bittet ein zweites Mal gesehen zu werden.
So oder so wird man sich wenn der Abspann läuft den Film noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Genau hier reift
der Film dann auch mitsamt seinen Qualitäten zu einem wahren Meisterwerk heran.
"Peppermint Candy" ist wegen seiner etwas langatmigen Natur nicht jedermanns Sache und ab und an mag man vielleicht
sogar versucht sein abzuschalten, doch dann würde man ein kleines Kunstwerk verpassen. Regisseur Lee hat ein Drama
geschaffen wie es so nur selten seinen Weg auf den Bildschirm findet. Ein Film, der das Potenzial zum Klassiker hat.