Story: Ein Wanderer (Kichijiro Ueda) sucht unter dem Dach des "Rashomon Gate" Schutz vor dem Regen. Dort trifft
er einen Priester (Minoru Chiaki) und einen Holzfäller (Takashi Shimura), die von einer grauenhaften Geschichte erzählen.
Der Wanderer möchte mehr erfahren und so hört er aus der Sicht von vier verschiedenen Individuen die Geschichte des
Banditen Tajomaru (Toshiro Mifune), der einen Samurai (Masayuki Mori)
, welcher in einem nahen Wald unterwegs war, tötete und dessen
Frau (Machiko Kyo) vergewaltigte. Tajomarus Geschichte unterscheidet sich aber stark von jener der vergewaltigten Frau
des Samurais. Aber auch die Geschichte des getöteten Samurais selbst, der durch ein Medium seine Version der Ereignisse
schildert, und die des vierten Augenzeugen, dem Holzfäller, ergeben kein übereinstimmendes Bild. Was ist wirklich an
diesem Tag passiert und welche Motive haben die einzelnen Augenzeugen die Geschichte über das, was wirklich vorgefallen
ist, zu verfälschen?
Kritik: Es gibt einige Klassiker, die man nicht nur als Liebhaber asiatischer Filme sondern als Filmliebhaber
generell gesehen haben muss. "Rashomon" von Regielegende Akira Kurosawa gehört dazu. Umso erstaunlicher ist es, dass
nur wenige der einschlägigen Internetseiten rund um asiatisches Kino sich solcher Filme annehmen, meine kleine Seite
eingeschlossen. Dabei stellt doch gerade Kurosawas Werk einen Vorreiter in vielerlei Hinsicht dar. Die Geschichte um
vier Individuen, die das gleiche Ereignis mit großen Differenzen wiedergeben, ist auch heute ein Element, dessen sich
einige Regisseure bedienen und dabei glauben etwas Originelles zu schaffen. Wir sprechen hier nicht nur von
Hollywood, sondern selbst Zhang Yimou hat sich für "Hero" von Kurosawa inspirieren lassen. Interessant ist dabei auch,
und das sollten Zuschauer im Hinterkopf behalten, wenn sie den Film sehen, um am Ende nicht frustriert zu sein, dass
der Regisseur verschiedene Erklärungen liefert, aber keine richtige Auflösung oder Wahrheit.
Denn genau hierum geht es in "Rashomon": Wahrheit und Lüge. In was für einer Welt leben wir, dass jedes Individuum,
aus den unterschiedlichsten Gründen, auf Lügen angewiesen ist, um sich selbst oder das Selbstbild zu schützen? Eine
grauenhafte Welt, wie der Priester im Film feststellt. Die häufigsten Lügen scheinen dabei jene, an die man selbst
glauben möchte, bzw. die man verbreitet um sich selbst zu täuschen. Die Menschen können nicht mit sich oder über sich
selbst ehrlich sein, sie können nicht über sich selbst reden ohne dabei zu verschönern, wie Akira Kurosawa einmal in
einem Interview feststellte und hier in Form eines faszinierenden Films auf die Leinwand bringt.
"Rashomon" ist überdies einer der ersten Filme, die Flashbacks benutzen, in denen das selbe Ereignis unterschiedlich
dargestellt wird. Innerhalb der Flashbacks gibt es dann auch weitere solcher Art, sodass ein mehrstufiges Geschichtengewebe
entsteht. Es ist eben diese Art des Geschichtenerzählens, die den Film überhaupt so spannend und mitnehmend macht, denn
von seinem Tempo her mag sich "Rashomon" oft etwas zu sehr in die Länge gestreckt fühlen.
Allerdings muss man natürlich auch berücksichtigen, dass der Film von 1950 ist, wo eben auch ein anderes Tempo Standard
war. Von dem etwas übertriebenen Schauspiel darf man sich aber nicht in die Irre leiten lassen, denn dieses war keineswegs
gewöhnlich zu der Zeit. Kurosawa wollte damit viel eher die Emotionen mehr in den Vordergrund bringen, so wie es
Schauspieler während der Stummfilmzeit handhaben mussten, wenn sie Gefühle auf den Zuschauer übertragen wollten. Dieses
etwas aufdringliche Schauspiel funktioniert aber erstaunlich gut, und Toshiro Mifunes wahnsinniges Gelächter wird einem
noch lange im Gedächtnis bleiben können. Auch im Allgemeinen kann Kurosawas Lieblingsschauspieler Mifune wieder einmal
eine großartige Leistung darbringen, die jene aller anderen in den Schatten stellt. Anfangs mag die Frau des Samurai,
gespielt von Machiko Kyo, etwas zu klischeebeladen in Bezug auf die Darstellung der devoten Gattin eines ehrenvollen
Samurai wirken, aber gerade hier gibt es einen schönen kleinen Twist in einer der Geschichten, die das wieder wettmachen
kann.
Besonderes Augenmerk wurde auch auf die Kinematographie gelegt. Kazuo Miyagawa leistet hier Hervorragendes und hat vor
allem bei den diversen Schattenspielen der Laubblätter auf dem Boden und den Gesichtern der Protagonisten seine
Expertise gezeigt. Außerdem wird "Rashomon" oft als erster Film genannt, bei dem die Kamera direkt in die Sonne
gerichtet wurde, ein Tabu zur damaligen Zeit. Die Kinematographie trägt einen guten Teil dazu bei, dass die Hitze und
das Tropische des Waldes, in dem ein guter Part des Films stattfindet, beinahe physisch zu spüren ist.
Sehr spannend und realistisch wirken des Weiteren die Kämpfe. Hier gibt es keine Schnörkel oder ästhetisch anspruchsvolle
Schwertduelle, sondern nur Kämpfe ums nackte Überleben. Wildes Schwertgefuchtel, Stolpern oder Davonrennen sind deshalb
wichtige Aspekte der kleinen Duelle, die den Film einfach realistisch erscheinen lassen und emotionale Spannung erzeugen.
Vielleicht kann man "Rashomon" für sein etwas emotionales und moralisches Ende kritisieren, Kurosawa schafft es aber
dennoch gekonnt ein Bild zu kreieren, in dem Hoffnung, dank einer Welt voller Menschen, die sich und andere belügen,
nicht mehr greifbar zu sein scheint. Jeder der Augenzeugen oder angeblichen Täter lügt im Film aus einem anderen Grund,
sei es um seinen Stolz, seine Ehre oder Reputation zu wahren. Schlussendlich scheint dies aber die Welt
zu korrumpieren. Kurosawa gibt uns aber einen Hoffnungsschimmer mit auf den Weg. Dürfen wir ihn dafür wirklich
kritisieren?
Die Musik ist außerdem anscheinend nicht selbst komponiert, sondern an ein Klassikwerk angelehnt, was wohl hauptsächlich die
westlichen Zuschauer für den Film gewinnen sollte. Es hat funktioniert. "Rashomon" war Kurosawas internationaler
Durchbruch und brachte ihm sogar einen Oscar ein, und das vier Jahre vor seinem "The Seven Samurai". Der Grund dafür ist
simpel: Auch wenn in Hinblick auf das Tempo und das Schauspiel heute einiges etwas befremdlich wirken mag, so hat "Rashomon"
nichts von seiner Faszination verloren und ist auch heute noch ein originelles Werk. Die Gewichtigkeit des
Films für das japanische/internationale Kino wird erst Stunden oder Tage nach dem Ansehen des Films beim
Zuschauer so richtig zum Tragen kommen.