Story: Pin-Wen (Alyssa Chia) wird eines Tages auf der Arbeit von der Klassenlehrerin ihrer Tochter angerufen. Eine Mitschülerin von Xiao Jing (Gingle Wang) ist positiv auf Covid-19 getestet worden und so muss auch die Tochter in Quarantäne. Pin-wen bringt ihre Tochter nach Hause und bekommt von ihrem Arbeitgeber ebenfalls frei, weil dieser kein Risiko eingehen will, falls sich Pin-Wen auch angesteckt hat. Daher sitzt sie mit ihrer Tochter Xiao Jing nun zuhause in Quarantäne. Keine leichte Zeit für beide, da sie schon lange Probleme miteinander haben. Xiao Jing kommt daher auch nie aus ihrem Zimmer raus, natürlich unter dem Vorwand, dass sie ihre Mutter nicht anstecken will. Als sie ihrer Mutter auch noch eine beleidigende Nachricht hinterlässt, weiß Pin-Wen nicht mehr weiter und ruft ihren Ex-Mann an. Dieser wird kurze Zeit später auch von der Tochter angerufen. Xiao Jings Mutter ist nämlich plötzlich im Krankenhaus, nachdem sie verwirrt auf der Straße gefunden wurde. Es stellt sich heraus, dass Pin-Wen psychische Probleme hat. Ihr wird gekündigt und sie muss zur Behandlung sogar kurzzeitig in die Psychiatrie. Zuhause kümmert sich dann die Tochter um sie. Die Finanzen sehen allerdings mit der Zeit auch immer schlechter aus und bald kann die Hypothekenrate für das Apartment nicht mehr bezahlt werden. Pin-Wen will sich einen neuen Job suchen, aber immer wieder leidet sie an Episoden, die auch für Xiao Jing zu einer Kraftprobe werden.
Kritik: Wahrscheinlich wird es den meisten so gehen, dass sie sich von der Corona-Thematik dieses Films nicht richtig angesprochen fühlen wollen. Schließlich sind die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus noch allzu sehr in unserem Alltag zu spüren. Natürlich ist aber auch klar, dass es bald einige Dramen geben wird, die sich in den nächsten Jahren mit dem Thema auseinandersetzen (müssen). „The Falls“ nimmt sich aber nur teilweise des Themas an. Zwar ist es ungewöhnlich, Darsteller mit einer Maske im Gesicht zu sehen, aber man hat hier tatsächlich hauptsächlich einen Rahmen unseres neuen Alltags genommen, um darin eine Geschichte rund um Psychose und psychische Krankheiten generell zu verbauen. Es wird aber auch mehr als angedeutet, dass die Quarantäne-Maßnahme der Grund war, warum das Fass für die Protagonistin übergelaufen ist. Interessant ist dabei der Ton des Films, der zwischen bedrückend und fast schon gruselig sowie ein wenig überraschender Unbeschwertheit ossziliert. Es bedarf aber einiger Geduld, sich in die Geschichte zu finden, da das Tempo die meiste Zeit ziemlich gemächlich ist. Die Entwicklung in der Beziehung zwischen Mutter und Tochter hält die Geschichte aber stets am Laufen.
Angenehm ist, dass die anfänglich vermutete Struktur der Beziehung überhaupt nicht der Realität entspricht. Die Tochter ist keineswegs die kaltherzige, typisch rebellierend-desinteressierte Teenagerin und die Mutter nicht die kühle Geschäftsfrau, die sich von ihrer Tochter entfremdet hat. Dieses Puzzle der Beziehung dekonstruiert zu sehen, um danach wieder auf neue Art zusammengesetzt zu werden, macht einen Großteil des Reizes jener ansonsten recht düsteren Geschichte aus. Die zuweilen bedrückende Atmosphäre wird durch stimmungsvolle Innenaufnahmen getragen, wobei die Verkleidung um das Apartmenthaus (es finden gerade Sanierungsmaßnahmen statt), Symbol für sowohl die Isolation von der Außenwelt durch die Quarantäne als auch die emotionale Vereinsamung, eine wichtige Rolle spielt. Weiterhin gibt es auch einige unangenehme Szenen, welche die Wahnvorstellungen der Mutter betreffen, wenn sie beispielsweise mitten in der Nacht vor der Wohnungstür steht, weil draußen Wächter stehen sollen, die nicht verschwinden.
Xiao Jing, gespielt von Gingle Wang ("Detention"), soll auf die Wahnvorstellungen ihrer Mutter eingehen und mit ihr darüber reden. Das macht sie mit einer kindlichen Leichtigkeit, die jenen Momenten etwas von ihrer Härte nehmen. Gleichzeitig erkennen wir, dass die ganze Situation keineswegs so leicht für sie ist, wie sie vorgibt. Vom einen auf den anderen Augenblick muss sie mit der Krankheit ihrer Mutter konfrontiert erwachsen werden und sich auch um die Finanzen kümmern. Auch wenn sie dabei eine ziemlich gute Figur abgibt, wird sie auch über das Ohr gehauen. "The Falls" ist daher auch ein Film über das Erwachsenwerden. Getragen wird das Drama vor allem durch die hervorragenden darstellerischen Leistungen von Gingle Wang und Alyssa Chia als Mutter. Letztere muss mit einer neuen Realität konfrontiert irgendwie den Alltag bewältigen, was auch bedeutet, sich einen neuen Job zu suchen und sei es auch in einem Supermarkt. Dass sich die Mutter dafür nicht zu stolz ist, zeigt erneut, dass man in der Wahrnehmung der Charaktere am Anfang um einiges daneben lag.
Regisseur Chung Mong-hong stellt seinen recht erstickenden Bildern der Psychose aber immer wieder auch Sonnenschein entgegen. Daneben beweist auch der sehr gelungene Soundtrack von Lu Liming, dass dieses Drama immer wieder auch Wärme und Hoffnung schenken kann. Die Gründe für Pin-Wens Psychose werden nicht direkt genannt, aber die komplizierte Beziehung zum Ex-Mann, den sie nie loslassen konnte, hat wohl einen großen Anteil daran. Daneben ist es wie gesagt natürlich auch kein Zufall, dass die durch die Pandemie auferlegte Isolation ihren Gesundheitszustand hat eskalieren lassen. Überhaupt steht man wohl erst am Anfang, die schon zu Beginn mit den Maßnahmen einhergehenden Folgen aufzuarbeiten und "The Falls" gibt einen ersten Einblick, wie man dabei künstlerlich vorgehen könnte. Die Pandemie ist allgegenwärdig, aber wird irgendwie auch zugleich ausgeklammert, sie ist einfach da, in den Nachrichten, im Krankenhaus, das ohne Versichertenkarte nicht betreten werden darf, in der Angst der Kollegen evtl. mit jemand Krankem zusammenzuarbeiten. Aufdringlich wird der Film bei der Einarbeitung des Themas aber nie und daher funktioniert "The Falls" auch in dieser Hinsicht.
Xiao Jing mag zu Beginn wie ein undankbares, verwöhntes Kind daherkommen, aber es zeigt sich, dass dies auch ein Trugschluss hervorgerufen durch die Perspektive gewesen sein könnte. In jedem Fall lernen wir das Mädchen neu kennen und sie trägt uns durch den gesamten Film. Ihre Beziehung zum Vater gibt auch noch einen interessanten Einblick in ihr Seelenleben und die Neustrukturierung der Familie offeriert genug Material, um uns über die stolzen 129 hinweg interessiert zu halten. Allerdings gibt es ein paar Momente, in denen man sich bei der Gemächlichkeit doch etwas zu viel des Guten erlaubt hat. Darüber hinaus kommt es zum Ende hin noch zu einem Finale, das so nicht in den Rest des Films passen will, dafür allerdings mehr oder weniger einen Bogen zum Titel des Films schlägt. Es ist verwunderlich, dass dieses taiwanesische Drama auf Netflix zu finden ist, aber Zuschauer mit ein wenig Geduld können hier einen komplexen Film über das Erwachsenwerden und die psychische Gesundheit vorfinden, ohne dass "The Falls" dabei zu Art-House-typisch wäre.