Story: Ichiko (Sakura Ando) ist 32 Jahre alt und lebt immer noch zuhause. Sie hilft ihrer Mutter nicht an ihrem Essensstand und faulenzt
stattdessen den ganzen Tag, ohne eine Perspektive im Leben zu haben. Wirklich schlimm wird es, als ihre Schwester nach ihrer Scheidung wieder zu ihrer Mutter
zieht. Nach einigen Reibereien muss Ichiko ausziehen. Sie beschließt in einem 24-Stunden-Laden zu arbeiten, wo ihr schon bald einer ihrer Mitarbeiter näherkommen
will. Doch Ichiko interessiert sich nur für Kano (Hirofumi Arai), einen Amateur-Boxer, den sie schon ein paar Mal in einem nahe gelegenen Box-Studio gesehen hat.
Wie sich herausstellt, kauft er auch oft in dem Laden ein, in dem Ichiko arbeitet. Zwischen den beiden kommt es zu einem ersten Date und so etwas Ähnliches
wie eine Romanze bahnt sich zwischen den beiden an. Doch Kano ist nicht für eine ernste Beziehung gemacht. Um ihren Frust loszuwerden, beschließt Ichiko
zu boxen. Anfangs alles andere als talentiert, wird sie sehr schnell viel besser. Sie hat endlich etwas gefunden, in das sie ihre gesamte Energie investieren
kann. Eine wirkliche Karriere steht ihr wegen ihres fortgeschrittenen Alters aber nicht bevor. Zumindest einen Kampf möchte sie aber gewinnen...
Kritik: Von dem eher unspektakulären Poster sollte man sich nicht täuschen lassen. "100 Yen Love" ist kein typischer Art-House-Streifen.
Das Drama einer Frau, die keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat und mit Hilfe eines Sports versucht, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen,
ist ebenso auch kein typischer Boxfilm. Was den Film so besonders macht, ist die ungewöhnliche und zuweilen schräge Art, wie Elemente verschiedener
Genres, nicht zuletzt auch die einer Komödie, miteinander verwoben werden. Kein Wunder also, dass Japans offizieller Beitrag zur Oscar-Kategorie "Bester
ausländischer Film" dieser kleine Streifen ist, der es mit seinen merkwürdigen Charakteren und tiefgehender Geschichte vermag, emotional zu berühren und
dabei nicht so kühl daherzukommen wie so manch anderer Art-House-Film.
Dabei sieht es anfangs so aus, als könnte man unmöglich jemals für Ichiko Sympathien entwickeln. Sie hängt nur faul zuhause rum, geht ihren Eltern nicht
zur Hand und stinkt selbst durch den Bildschirm, da sie augenscheinlich vor Jahren das letzte Bad genommen hat. Doch langsam bekommen wir ein Gefühl dafür,
welchen Schmerz Ichiko in sich trägt. Sie mag sich zwar wie ein Junge bewegen und ihre runde, beinahe gebückte Körperhaltung gibt ihr etwas sehr Ungelenkes,
aber auch wenn sie vorgibt, stark zu sein, so ist sie doch emotional kein Eisklotz. Eine sehr bezeichnende Szene ist, als Ichiko vergewaltigt wird. Sie
geht nach der Tat extrem pragmatisch mit der Situation um, schämt sich nicht ein Opfer gewesen zu sein, wie sonst viele andere Frauen, und meldet den
Vorfall sogleich nüchtern der Polizei. Doch eine seelische Narbe wird das Ganze dennoch hinterlassen haben.
Das ist auch das Spezielle an "100 Yen Love". Wir sehen eigentlich stets nur die Narben und nicht den eigentlichen Schmerz. Genauso wie die Vergewaltigung
nicht weiter emotional ausgebreitet wird, verhält es sich auch mit anderen Verletzungen. Im Gegensatz zu ungemein kalten Art-House-Streifen gibt es aber
trotzdem auch emotionale Ausbrüche. Regisseur Masaharu Take ("Café Seoul") nimmt das Beste aus Szenen, in denen sich zwei Personen schweigend gegenüberstehen
und man ihre Emotionen unter der Oberfläche suchen muss, und jenen, in denen wir Gefühlsausbrüche zu sehen bekommen. Auf diese Weise schafft es Masaharu Take
Klischées zu vermeiden und seinem Drama ein starkes Fundament zu geben, das er anschließend als Spielplatz für weitere Elemente verwendet wie den sehr schönen
trockenen Humor oder den irgendwie beschwingt-fröhlichen Blues-Soundtrack.
Der Film verdankt aber viel von seinem Erfolg Sakura Ando ("For Love's Sake", "Love Exposure").
Sie beweist enormen Mut zur Hässlichkeit und ihre Transformation - nein, nicht zu einer Schönheit, sondern zur Boxerin - ist einfach beeindruckend. Sie am
Ende großartige Schwinger und Haken machen zu sehen, während sie wie ein Energiebündel durch die Gegend springt, wird umso beeindruckender, weil man sie zu
Anfang als ungemeine Faulenzerin mit ein paar Kilos zu viel zu sehen bekommt. Auch mit ihrem Schauspiel weiß Sakura Ando zu überzeugen. Daneben steht ihr
Hirofumi Arai ("Parasyte: Part 2") zur Seite, desssen Charakter mit seiner subtilen Darstellung immer irgendwie rätselhaft
bleibt, aber die ungewöhnliche Liebesgeschichte ebenfalls zu einem weiteren Element macht, das funktioniert.
Dann gibt es da auch noch das Boxen. Trotz eines gelungenen Kampfes gegen Ende, bei dem viel Wert auf Authentizität gelegt wurde, ist das Boxen aber nur Mittel zum Zweck. Irgendwie ist es auch gar nicht so wichtig, ob Ichiko gewinnt oder nicht, auch wenn es für sie wohl an oberster Stelle steht, um ihrem Leben noch einen Sinn zu geben. Es ist dieses herzerwärmende Gefühl, wenn man Ichiko wie einen Profi ganz in "Rocky"-Manier durch die Gegend rennen sieht, das keinen Zweifel mehr daran lässt, dass für sie der Weg schon zum Ziel geworden ist. Sie muss es nur noch selbst realisieren. Diese Wärme ist es, die "100 Yen Love" zu einem solch außergewöhnlichen und erfolgreichen Art House Film macht. Überdies schafft es der Regisseur seine anfängliche Unfokussiertheit, die einzige ernste Schwäche des Films, ab der Mitte zu einer narrativen Linie zu transformieren. Der Humor, die Liebesgeschichte, der Sport, der harte Weg seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, alles das ist wunderbar miteinander verwoben und macht "100 Yen Love" zu einem fantastischen Film.