Story: Das kleine Mädchen Jin-hee (Kim Sae-ron) wird von ihrem Vater in ein katholisches Waisenhaus gebracht. Zuerst versteht sie nicht, was
geschieht, und als ihr Vater einfach geht, will sie nicht glauben, dass dieser sie dort zurückgelassen hat. Sie weigert sich zu essen und versteckt
sich den Tag über auf dem Gelände des Waisenhauses. Schließlich muss sie aber langsam einsehen, dass sie wohl für eine Weile dort bleiben muss. Während
die anderen Kinder versuchen, bei dem Besuch potenzieller Adoptiveltern einen guten Eindruck zu hinterlassen, bleibt Jin-hee stumm, da sie in dem Waisenhaus
bleiben will, bis sie ihr Vater wieder abholt. Mit der Zeit freundet sich das Mädchen mit der 11-jährigen Sook-hee (Park Do-yeon) an, doch auch sie
will so bald als möglich von neuen Eltern aufgenommen werden. Jin-hee fängt langsam an, Beziehungen zu den anderen Kindern aufzubauen, aber immer
wieder verlassen diese das Waisenhaus, um irgendwo anders ein neues Leben anzufangen. Auch für Jin-hee scheint es nur eine Frage der Zeit, bis sie
von irgendjemandem adoptiert wird.
Kritik: Es gibt Art-House-Filme, die ganz offensichtlich für ein Festivalpublikum gemacht wurden und Kunst der Kunst willen sein wollen. Man
fragt sich dann oft, warum es nicht mehr gibt, das so ein Film transportieren will. Schließlich ist der Film ein Medium, das vielseitig einsetzbar ist,
um die unterschiedlichsten Themen zu behandeln. Da reicht es nicht, auf möglichst "anspruchsvolle" Weise, die Protagonisten stumm durch ein aufs
Nötigste beschränkte Drehbuch wandeln zu lassen. Leider ist aber genau das gang und gäbe geworden. Überdies sind solche Filme für den Zuschauer nicht
nur oft anstrengend, sondern sogar langweilig. Umso erfrischender ist es, dann einen Film wie "A Brand New Life" zu sehen zu bekommen. Hierbei handelt
es sich ebenfalls ganz eindeutig um einen Art-House Film, das Tempo ist recht gemächlich und er lief auch in Cannes. Trotzdem kann der Film einen
sofort für sich gewinnen und auf eine angenehm unmanipulative Art berühren.
"A Brand New Life" ist eine koreanisch-französische Co-Produktion, die, so könnte man zuerst annehmen, das Leben von Regisseurin Ounie Lecomte
nachzeichnet, welche ebenfalls in einem Waisenhaus untergebracht wurde, bis sie von einer französischen Familie adoptiert wurde. Tatsächlich basiert
die Geschichte aber lediglich stark auf ihren eigenen Erfahrungen. Gespräche mit Lee Chang-dong
("Oasis", "Secret Sunshine") konnten diesen dann von der
Geschichte überzeugen, sodass er als Produzent einsprang. Das Ergebnis, und hier werde ich sicherlich einige Filmkritiker und - fans gegeben mich
aufbringen, ist weitaus gelungener und bewegender als so mancher Film von Lee!
Lecomtes Film verzichtet auch nicht auf nötige Dialoge und schafft ein Drama, das vor allem dank der glaubwürdigen psychologischen Ausleuchtung von
Jin-hee so mitnehmend ist. Aber auch auf technischer Ebene, gibt es nichts zu beanstanden. Der Film ist in schönen Bildern eingefangen und die
leicht graue herbstliche Atmosphäre passt wunderbar zum traurigen, aber irgendwie auch melancholisch-süßem Rest des Films.
Die anfängliche Szene wie Jin-hee glücklich mit ihrem Vater (in einem Gastauftritt von Sol Kyung-gu gespielt!) zusammen etwas isst, ihm ein Lied singt
und sich auf dem Fahrrad fest an ihn klammert,
machen die Szene, in der ihr Vater sie mit einem Kuchen in einem Waisenhaus zurücklässt, umso tragischer. Jin-hee kann zuerst gar nicht verstehen,
was passiert ist und das sich ihr Leben nun grundlegend ändert. Ihre anfängliche Verwirrung von ihrem Vater alleine gelassen worden zu sein, macht
tiefer Trauer und Wut Platz. Kim Sae-ron, die ein Jahr später auch in "The Man From Nowhere" mitspielen sollte,
verkörpert nicht nur ein kleines Kind,
das durch ihre Niedlichkeit das Herz des Zuschauers erobern soll, sondern sie erweist sich als beeindruckende Kleindarstellerin. Sie zeigt eine
Vielzahl an Emotionen, einige davon recht komplex, und schafft es damit, die verschiedenen Phasen ihres Gemütszustandes aufs Glaubhafteste darzubringen.
An manchen Stellen kann man sogar kaum glauben, dass ein kleines Kind in der Lage ist, diese Form der Gefühle darzustellen.
In ein paar Szenen können die Gefühle Jin-hees besonders stark zur Geltung kommen. Als sie mit anhört, wie eines der Kinder den anderen erklärt, dass
Jin-hee kein Gast ist, sondern jetzt zu ihnen gehört, kann das Mädchen sich selbst gegenüber nicht länger leugnen, an diesem Ort für längere Zeit
bleiben zu müssen. Das ist
der Moment, in dem ihr klar wird, dass sie ihren Vater nie wieder sehen wird. Dann ist da auch noch eine der Schwestern, die ihrer Trauer und ihrer
Wut darüber, Jahr für Jahr ihre Kinder weggehen sehen zu müssen, Luft verschafft, indem sie Wäsche ausklopft und Jin-hee, als diese in Zorn die
Spielzeuge der anderen Kinder zerstört, das gleiche Ventil ans Herz legt. Darüber hinaus gibt es eine starke Szene, in der Jin-hee beschließt zu
sterben. Dafür will sie sich in ihrer kindlichen Naivität selbst begraben. Auch wenn man als Zuschauer weiß, dass das nicht funktionieren wird,
und Jin-hee selbst vielleicht sogar auch, hat diese Szene doch symbolischen Aussagewert über Jin-hees innere Gefühlswelt.
Jin-hee rebelliert gegen die Schwestern des Waisenhauses, gibt es nicht auf, nach ihrem Vater zu fragen und kann sich emotional erst nach einer Weile dem Mädchen Sook-hee öffnen, nur um dann wieder enttäuscht zu werden. Es ist leicht, mit diesem Mädchen zu leiden, das sich plötzlich von der ganzen Welt im Stich gelassen fühlt und mit Situationen umzugehen lernen muss, die sie in ihrem Alter noch gar nicht kennen sollte. "A Brand New Life" zeigt dabei, wie viel Kinder tatsächlich in der Lage sind, an Schmerz zu verkraften und wie wenig sie sich eigentlich von Erwachsenen darin unterscheiden, damit umzugehen. Regisseurin Lecomte fängt die Gefühle in ehrlichen Bildern ein und schafft es damit, uns zu berühren, ohne uns das Gefühl zu geben, dass das Ziel des Filmes ist. Das lässt das Drama umso mehr funktionieren und die melancholische Stimmung und einige starke Szenen lassen den Film noch lange im Kopf des Zuschauers nachhallen. Damit verdient es dieser unmanipulative, aber bewegende Film von allen Drama-Freunden, die etwas für ehrliche Geschichten übrig haben, gesehen zu werden.