Story: Carter (Joo Won) wacht in einem Hotelzimmer auf, während etliche CIA-Agenten durch die Tür stürmen. Er erinnert sich an gar nichts und kennt nicht einmal seinen Namen. Allerdings hat er eine Stimme im Ohr, die ihm genau sagt, was er zu tun hat. Anscheinend wurde ihm ein Knopf ins Ohr transplantiert und irgendeine Operationsnarbe befindet sich ebenso an seinem Hinterkopf. Die CIA ist in dem Hotel aufgetaucht, weil Carter ihnen angeblich ein Video geschickt hat, in dem er mitteilt, dass er Doktor Jeong Byeong-ho (Jung Jae-young) in seiner Gewalt hat. Momentan ist jeder auf der Suche nach dem Doktor, da dieser ein Heilmittel für eine Krankenheit entwickeln kann, die die Menschen zu willenlosen Tieren mit hohem Aggressionspotential macht, bis die Erkrankten schließlich sterben. Der Arzt konnte seine Tochter Ha-na (Kim Bo-min) heilen und mit ihren Antikörpern wäre endlich ein Heilmittel möglich. Nord- und Südkorea arbeiten zusammen, um das Virus zu besiegen, und Carter hat anscheinend eine Tochter, die ebenfalls erkrankt ist, weshalb er Ha-na finden und sicher nach Südkorea bringen soll. Jedoch haben die USA etwas dagegen und in Nordkorea ist ein Coup in Planung, weshalb nicht klar ist, ob die Zusammenarbeit zwischen dem Norden und Süden lange andauern wird. Carter hat aber ohnehin erst einmal alle Hände voll damit zu tun, der CIA aus dem Weg zu gehen und Ha-na zu finden. Auch wenn er der Stimme in seinem Ohr nicht traut, hat er keine andere Wahl, als bei dem Spiel mitzumachen. Carters Weg ist dabei jedoch von Leichen gepflastert...
Kritik: Wann hat mich ein Film zuletzt gleichermaßen so sehr beeindruckt als auch enttäuscht? Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, aber der Fakt ist, dass dieser Netflix-Streifen ungemein ambitioniert ist und man schlichtweg enormen Respekt vor der Hingabe der Macher für das Medium Film haben muss. Hier wird sich vollkommen einer Idee verschrieben und diese wird konsequent bis zum Schluss durchgezogen: ein andrenalingeladenes Actionspektakel auf die Leinwand zu bringen, bei welcher der eigentliche Star die schwindelerregende Kamerafahrt ist, die den Eindruck einer komplett durchgängig gefilmten Actionszene erwecken soll. Solche Experimente und diese Form der Unterhaltung stellen u.a. das Herz des Kinos dar. Traurigerweise werden auch einige Kardinalfehler begangen, die den ersten großartigen Eindruck schnell vergessen machen. "Carter" ist nämlich nicht nur im positiven Sinne vollkommen durchgeknallt, sondern auch äußerst dämlich hinsichtlich seiner Geschichte, die das Interesse nicht länger als maximal eine Stunde aufrechterhalten kann.
Wer den Trailer zum Film gesehen hat, wird wohl von der dynamischen Kameraführung überrascht gewesen sein, die enorm aufwändig wirkt und die Ereignisse geradezu über den Bildschirm peitscht. Die Sache ist nur die, dass tatsächlich der gesamte Film auf diese Art gedreht wurde! Die Kamera ist durchgängig in Bewegung, sodass man vermuten muss, nicht nur manche Szenen, sondern alles wurde von einer Drohne aufgenommen. Verbunden werden die Aufnahmen durch Schnitte, die teilweise gekonnt kaschiert werden, meistens aber doch irgendwie ersichtlich sind, auch wenn ebenso mit Computereffekten gut nachgebessert wurde. Das zerstört aber nie wirklich die Illusion, dass die Geschehnisse alle in Echtzeit stattfinden, sodass uns nie eine richtige Pause gegönnt wird. Trotz einiger erkennbarer Schnitte kann man nur darüber staunen, wie viel Planung und Wiederholungen nötig gewesen sein müssen, um viele der wirklich langen Szenen im Kasten zu haben.
Für "Carter" hat Regisseur Jung Byung-gil, der in "The Villainess" schon einen überzeugenden Schritt ins Actiongenre unternommen, mit dem Thriller "Confession of Murder" aber seinen bisher besten Film abgeliefert hat, keineswegs den leichten Weg gewählt. Immer wieder gibt es interessante Kameraeinstellungen, Aufnahmen aus der Luft, die Kamera wandert unter Autos, in Autos, wieder nach draußen und das alles in einem augenscheinlichen Take. Manchmal wirken die Aufnahmen etwas schneller abgespielt, als sie aufgenommen wurden, wodurch die Bilder etwas mehr als nötig zittern, aber das Tempo, das dadurch kreiert wird, ist enorm und die Action selbst ist äußerst brutal, worüber uns gleich die Eingangssequenz nicht im Zweifel lässt. Das Blut, das hier fließt, oder die Wunden, die zugefügt werden, müssen hauptsächlich am Computer entstanden sein, aber es sieht fast nie so aus. Die Spezialeffekte sind auch bei den Hubschraubern, Autos oder Motorrädern sowie Explosionen sehr gelungen, da hier eine Mischung aus traditionellen und computergestützten Effekten verwendet wurde. Das Budget, und wie effektiv dieses Verwendung fand, ist beeindruckend.
All das hört sich hervorragend an und dürfte Genrefans vollkommen überzeugen. Allerdings wurde bei "Carter" eine wichtige Sache übersehen. Auch wenn das Tempo gleichbleibend hoch ist (um nicht zu sagen, extrem hoch), ist das wichtige Adverb hier "gleichbleibend". Da es keinen Tempowechsel gibt, kommt es zu einer gewissen Monotonie. Die Abwechslung fehlt und alles rauscht an einem vorbei und wiederholt sich leider auch. Tolle Ideen wie der Kampf bei dem zwischen einem Van, an dem links und rechts weitere Fahrzeuge auf gleicher Höhe fahren, hin- und hergesprungen wird, werden zum Finale mit einem Zug neu aufgelegt, und als zum zweiten Mal eine Armee aus Motorradfahrern hinter unserem Helden her ist, kommt auch eher Langeweile auf. Vermutlich stellt der Streifen auch einen neuen Rekord an Gegnern auf, die vom Protagonisten ausgeschaltet werden. Mit der Zeit stumpft man diesbezüglich einfach ab, da die Action ab einem bestimmten Punkt erschöpfend wird. Zum Finale hin wünscht man sich eigentlich bereits nur noch den Abspann herbei. "Carter" ist mit seinen 135 Minuten schlicht mindestens 45 Minuten zu lang.
Ein weiterer großer Kritikpunkt, wenn auch nicht überraschend, ist die Geschichte und die mangelnde Charakterausarbeitung. Es gibt ein wenig Geheimdienst-Geplänkel, Amnesie, politische Spannungen und dann auch noch ein Zombie-Virus (denn auch wenn es nicht im Fokus steht, könnte man "Carter" auch als Zombiestreifen bezeichnen). Der Teil in Nordkorea wirkt auch zu losgelöst vom Rest und auch wenn wir später etwas mehr über die Charaktere erfahren, ist wieder nur der Stil, wie zum Flashback geführt wird, außerordentlich innovativ, Substanz sucht man dagegen vergebens. Man hat das Gefühl, als hätte ein talentierter Regisseur ein riesiges Budget bekommen, um damit die Ideen eines Hobby-Drehbuchschreibers auf den Bildschirm zu bringen. Mit der Zeit wird alles enorm dämlich, passt eigentlich kaum zusammen, aber zum Glück hat man nie Zeit nachzudenken. Schlussendlich kann man "Carter" einfach nicht empfehlen, obwohl es hinsichtlich des Stils so viele Teile an dem Film zu loben gibt und die Macher sowie Hauptdarsteller Joo Won ("Fatal Intuition") extrem viel Blut, Schweiß und Tränen in den Film gesteckt haben, dass man es einfach wertschätzen muss. "Carter" zeigt aber einmal mehr, dass zu einem guten Film mehr als nur großartige Action und innovative Ideen gehören. Hätte man die Actionszenen über fünf Filme gestreckt und dafür eine stärkere Basis geschaffen, hätte etwas Großes aus dem Film werden können.