Story: Han Gong-ju (Cheon Woo-hee) wechselt die Schule. Ihr ehemaliger Lehrer (Jo Dae-hee) kümmert sich um sie und bringt sie bei seiner
Mutter Mrs. Jo (Lee Yeong-ran) unter. Gong-ju hat ihre eigene Mutter seit Jahren nicht gesehen und ihr Vater ist ein Alkoholiker. Gong-ju und Mrs. Jo kommen trotz
anfänglicher Probleme mit der Zeit immer besser miteinander aus, doch ihren Koffer hat das Mädchen immer noch nicht ausgepackt. Ihr fehlt es an Vertrauen und der Grund
dafür ist ein traumatisches Erlebnis, wegen dem mehrere Schüler nun vor Gericht stehen. Deshalb ist Gong-ju auch an einer neuen Schule. Dort will sie
eigentlich nur in Ruhe gelassen werden, aber ihre Mitschülerin Eun-hee (Jeong In-seon) will sich augenscheinlich unbedingt mit ihr anfreunden, seitdem sie
das Mädchen singen gehört hat. Gong-ju hat außergewöhnliches Talent, aber davon will sie nichts wissen. Letztlich versucht sie im Stillen die Narben ihrer
Vergangenheit zu heilen, denn ihre leibliche Mutter aufzusuchen oder mit ihrem Vater zum Essen zu gehen, hilft ihr auch nicht wirklich...
Kritik: Immer öfter haben Filme aus Korea Erfolg, die auf Missstände im Land hinweisen. Das Verbrechen
in "Han Gong-ju" wirkt besonders hart und ist trotz all des Taktgefühls, mit dem die Geschichte erzählt wird, in seinem Kern schonungslos
dargeboten. Das Drama hat Kritiker und Zuschauer gleichermaßen so sehr beeindruckt, dass der Film schnell zu einem der erfolgreichsten Independent-Streifen des
Landes wurde. Dennoch ist das Drama sicherlich nichts für zartbesaitete Gemüter. Darüber hinaus wird auch das eher gemächliche Tempo sowie eine subtil erzählte
Geschichte immer noch hauptsächlich ein geduldiges Publikum ansprechen. Aber auch oder gerade weil nicht alle Antworten sofort auf dem Präsentierteller
dargeboten werden, erweist sich das Drama als so lohnenswert.
Um den besonderen Schockeffekt des Films nicht abzumildern, wurde hier darauf verzichtet, alles von der Geschichte vorwegzunehmen, so wie es leider häufig auf
anderen Seiten nicht der Fall ist. Das Grundtrauma der Protagonistin ist aber zu jeder Zeit ersichtlich. Vor wem sie flieht oder sich versteckt, ist anfangs
nicht klar, zumal man ihr gegenüber immer wieder betont, dass sie nichts falsch gemacht habe. Die Antworten lassen sich jedoch über den weiteren Verlauf des
Films finden. Tatsächlich erzeugt das Zusammensetzen der Puzzleteile einen außergewöhnlichen Reiz, auch wenn manchmal offenbar wird, dass zu wenig Geschichte
auf zu viel Film ausgedehnt wurde. Das fällt aber selten auf, da "Han Gong-ju" wirksam mit den Charakteren und vor allem der Protagonistin arbeitet. Das Drama
hat damit ein starkes Fundament und kann auch in seinen etwas langsamen Momenten für sich gewinnen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Independent-Dramen ist "Han Gong-ju" aber gar nicht so langatmig. Immer wenn der Film droht, zu langatmig zu werden, gibt es
eine neue Enthüllung oder Andeutung. Da wäre zum Beispiel das Gespräch mit Gong-ju und Eun-hee über den ersten Kuss, das bereits ein paar Dinge erahnen lässt.
Dass man oft im Dunkeln tappt, ist demnach gar nicht so frustrierend, wie es eigentlich der Fall sein müsste. Dank günstiger HD-Kameras sieht der Film
außerdem überhaupt nicht wie ein Independent-Streifen aus. Im Gegenteil, an ein paar Stellen sehen die Bilder sogar nicht nur kalt und schwermütig aus,
sonder bestechen durch lichtdurchflutete, sonnige Klassenräume, in denen z.B. ein kurzes Musikvideo gedreht wird. Eigentlich müsste das bei der Grundstimmung
des Films wie ein Fremdkörper wirken, aber dem ist nicht so. Regisseur Lee Su-jin hat mit seinem Debüt außerordentliches Talent bewiesen.
Der Film kommt fast völlig ohne Musik aus, aber in ein paar Szenen darf Cheon Woo-hee, die bereits Nebenrollen in "Thread of
Lies" oder "Sunny" hatte, in einem warmen Song sogar ihre Gefühle der Hoffnung Ausdruck verleihen. Cheon stellt sehr
beeindruckend eine komplexe Teenagerin dar, die irgendwie versuchen muss, mit ihrem Trauma zurechtzukommen, während sie in der Erwachsenenwelt keinen Halt
findet. Ihre Eltern haben sie im Stich gelassen, einzig Mrs. Jo scheint etwas auf sie Acht zu geben, wobei gerade ihre Nebengeschichte gut in den Film
gearbeitet ist. Warum genau Eun-hee Interesse an einer Freundschaft mit Gong-ju hat, bleibt allerdings ein Rätsel. Gong-ju verhält sich wie eine Außenseiterin
und will nur ihre Ruhe haben. Doch die bekommt sie nicht. In der Tat scheint ihr das sogar zu helfen, aber ihr Trauma zu bewältigen, ist keine leichte
Aufgabe.
Etwas umständlich sind die Rückblenden geraten. Man weiß nicht immer, auf welcher Zeiteben man sich gerade befindet und das kann speziell zu Anfang irritierend sein. Außerdem scheint es lediglich ein Stilmittel, um die Geschichte etwas komplexer wirken zu lassen und mehr Spannung zu erzeugen, da man erst am Schluss tatsächlich die Auflösung präsentiert bekommt. Diese konnte man sich eigentlich schon durch die Hinweise zuvor zusammenreimen, aber dennoch nimmt das der Schwere des Traumas nichts von seinem Gewicht. "Han Gong-ju" ist nicht das Juwel, das manche darin zu erkennen glauben, solche Erwartungen will der Film auch gar nicht wecken. Vielmehr handelt es sich um ein auf Charakterebene sauber ausgearbeitetes Drama mit starken schauspielerischen Leistungen, das keineswegs art-house typisch anmaßend künstlerisch wertvoll sein will, sondern auf natürliche Weise ein schreckliches Trauma zu entwirren versucht.