Story: Hyun-sook (Kim Hee-ae) ist eine alleinerziehende Mutter, die mit ihren beiden Töchtern augenscheinlich ein glückliches Leben führt.
Während ihre ältere Tochter Man-ji (Ko Ah-seong) keine Gelegenheit auslässt zu nörgeln, ist die 14-jährige Cheon-ji (Kim Hyang-ki) immer gut gelaunt und
nett. Dann begeht Cheon-ji plötzlich Selbstmord. Hyun-sook und Man-ji ziehen in eine neue Wohnung und versuchen irgendwie ihr Leben weiterzuleben. Doch
Man-ji kann keine Ruhe finden, bis sie herausgefunden hat, was ihre Schwester in den Selbstmord getrieben hat. An der Schule stellt sie Nachforschungen an
und findet heraus, dass ihre Schwester gemobbt wurde. Diejenige, die ihr das Leben am schwersten gemacht hat, war ihre vermeintliche Freundin
Hwa-yeon (Kim Yoo-jeong). Allerdings erkennen Man-ji und ihre Mutter mit der Zeit, dass Cheon-ji vor ihrem Selbstmord einige Hilferufe gegeben hat, die
jedoch von ihrer Familie nicht wahrgenommen wurden. Hyun-sook und Man-ji suchen weiter nach Schuldigen für den Tod Cheon-jis, aber ganz so einfach scheinen
die Dinge nicht zu liegen...
Kritik: Mobbing an der Schule gibt es an jeder Schule in jedem Land auf der Welt. Für Südkorea ist das aber ein Thema, das die Regierung
besonders beschäftigen sollte, führt das Land doch mit großem Abstand die Liste der höchsten Selbstmordrate unter den OECD-Mitgliedsstaaten an. Ein Thema, das
eine ernste Auseinandersetzung verdient. Und das bekommt es auch in "Thread of Lies", einem komplexen Drama, das sich auf verschiedenen Ebenen mit Mobbing
auseinandersetzt und dabei mit Feingefühl sowie einem hervorragenden Sinn für cineastische Umsetzung überzeugt. Die fantastischen schauspielerischen Leistungen
tragen ebenfalls sehr gelungen eine Geschichte, in der das Drama sich als Rätsel präsentiert, welches langsam entwirrt wird und dabei zu jeder Zeit
realistisch bleibt, ohne Fehltritte in leichter umsetzbaren Kitsch zu machen.
Regisseur Lee Han setzt mit "Thread of Lies" wie schon bei seinem letzten Werk "Punch" einen Roman von Kim Ryeo-ryeong für die
Leinwand um und hat dabei erneut ein Auge für die Feinheiten der Charaktere und das Drama, das sich um diese spinnt. Denn die Komplexität der Geschichte
erwächst aus der Plastizität der einzelnen Personen, die jede für sich mit Schuld beladen ist und damit zurechtkommen muss. Der plötzliche Tod der Schülerin
wird dabei zunächst zwar mit Trauer wahrgenommen, aber doch keineswegs mit so viel Tränen bedacht, wie eigentlich angemessen scheinen würde. Damit beweist der
Regisseur jedoch nur umso mehr sein Gespür für das reale Drama des Lebens, denn das Loch, das Cheon-ji hinterlässt, kann nur langsam wahrgenommen werden, um
nicht plötzlich an dem Schmerz des Verlusts zu zerbrechen.
Während die Mutter zunächst schlicht versucht normal weiterzuleben, erweist sich die Schwester der Selbstmörderin als wahre Detektivin und befragt jeden,
der mit Cheon-ji zu tun hatte. Bald zeigt sich das Ausmaß des Mobbings, unter dem das Mädchen gelitten hat. Beeindruckend ist dabei, dass Cheon-ji mit perfiden
psychologischen Mitteln in den Selbstmord getrieben wurde, die glaubhaft die Dynamik einer Mädchen-Clique widerspiegeln. Noch grausamer und aufzehrender
als offensichtliches Mobbing ist subtiles Zermürben und genau diesem war die Schülerin ausgesetzt. "Thread of Lies" bleibt auch deshalb spannend, weil
immer wieder Neues um die Personen und Motive, die mit Cheon-ji in Zusammenhang stehen, zutage tritt. Die Geschichte ist dadurch recht verwickelt, aber zu
jeder Zeit nachvollziehbar. Dafür sorgen auch die fantastisch ausdifferenzierten Charaktere.
Treibende Kraft des Films ist Ko Ah-seong ("Snowpiercer", "The Host"), die sich trotz ihrer 21 Jahre
beim Dreh perfekt in die überwiegend sehr junge Besetzung fügt. Kim Hyang-ki ("A Werewolf Boy",
"Wedding Dress") überzeugt als depressives Mädchen, das niemandem ihre wahren Probleme zeigen kann, aber der komplexeste
Charakter ist Hwa-yeon, ebenfalls ausgezeichnet gespielt von Kim Yoo-jeong ("Commitment"), die eigentlich den Täter und damit den
Bösewicht der Geschichte darstellen müsste. Aber das tut sie nicht. Nach der Trauer kommt die Suche nach der Schuld und schließlich die Wut auf die Schuldigen,
doch "Thread of Lies" macht es sich nicht so einfach und zeichnet stattdessen ein Bild, bei dem gut und böse in Grautönen ineinanderfließen. Trotz der sehr
gelungenen Auseinandersetzung mit dem Thema wird nicht der erhobene Zeigefinger verwendet. Fast meint man, der Erzähler will auf jeden Fall
unparteiisch bleiben und der Rezipient selbst muss entscheiden, was er denken soll. Eine der großen Stärken von Autorin Kim Ryeo-ryeong, die sehr gut in den
Film transportiert wurde.
Beeindruckend ist auch das Ausmaß an Nebenhandlungen, die ihren Weg in den Film gefunden haben. Keine der Nebenhandlungen ist zudem für das größere Ganze unwichtig, was man vielleicht als einzigen Negativpunkt anführen könnte, denn so zeigt sich doch eine gewisse Konstruiertheit. Dennoch gibt es zwischen den einzelnen Erzählfäden eine perfekte Balance und sie alle münden in einem roten Faden. Ungewöhnlich ist auch, dass der Film trotz des sehr ernsten Themas auch einige schöne humoristische Momente hat, vor allem mit Yoo Ah-in, der hier in einer Anspielung an seine Rolle aus "Punch" erinnert. Doch wirklich verwunderlich ist das nicht, denn trotz einiger unweigerlich tränenbeladener Momente bricht die Geschichte mit Konventionen und Klischees und macht auf Missstände aufmerksam, indem sie sehr subtil vorgeht. Die oft lichtüberfluteten Sets unterstreichen noch einmal, dass "Thread of Lies" ein Drama ist, das am Ende irgendwo noch einen Kern Hoffnung für sich bewahrt und eine Ode an das Leben sein will.