Story: Nokoshi (Go Ayano) hatte einen gut bezahlten Beruf bei einer Versicherungsfirma, doch jetzt lebt er in seinem Auto als Obdachloser. Allerdings hat er immer noch einiges von seinem früheren Geld. Er befindet sich auf einer Suche nach sich selbst, unter anderem auch, weil er seine Erinnerung verloren hat. Da spricht der Medizin-Student Ito (Ryo Narita) den Obdachlosen an, ob er nicht bei einer Studie mitmachen möchte. Nokoshi ist daran nicht interessiert, zumal er kein Geld benötigt, aber Ito verspricht ihm etwas viel Besseres. Er weiß, dass der Obdachlose seine Erinnerung verloren hat und überdies nicht in der Lage ist, Emotionen zu spüren. Nach seinem Experiment dauere es nur eine Woche, bis sich das ändere. Nokoshi willigt schließlich ein, auch weil er sonst kein Lebensziel mehr hat. Bei der Studie wird dem Probanden ein Loch in den Kopf gebohrt, das den Druck auf das Gehirn verringert und ihn vielleicht so in die Lage versetzt, einen sechsten Sinn zu entwickeln. Nokoshi glaubt nicht an solch einen Unsinn, aber es stellt sich heraus, dass er tatsächlich einer der wenigen ist, die positiv auf die "Behandlung" ansprechen. Er sieht fortan mit seinem linken Auge die Traumata der Menschen, oft in Form abstrakter Bilder, die sich über die Menschen legen. Er gerät an einen Yakuza und kann gerade so mit dem Leben davonkommen, weil er direkt in dessen Seele blicken kann und diese Konfrontation sein Gegenüber verängstigt. Es zeigt sich, dass Nokoshi von den Menschen ihr seelisches Leid nehmen kann. Doch dieses verschwindet nicht einfach, sondern nistet sich in ihm selbst ein...
Kritik: “Homunculus“ ist eines jener Werke, bei denen man sich nicht sicher ist, wie man es genau finden soll. Die Stimmung und Atmosphäre des Films ist einzigartig, aber irgendwie wird das Endprodukt nicht dem gerecht, was wahrscheinlich anvisiert war. Manga-Enthusiasten werden das sicherlich sofort unterschreiben und anführen, dass das Original von Hideo Yamamoto, auf dessen Werk auch Takashi Miikes "Ichi – The Killer" basiert, natürlich um Welten besser ist. Da ich dieses aber nicht gelesen habe, bleibt es bei einer unvoreingenommenen Kritik, die aber ebenfalls nicht nur positiv ausfällt. Grund dafür ist vor allem eine leicht episodenartige Struktur und der Fakt, dass die Geschichte manchmal einen Hauch davon liefert, wie tief sie hätte gehen können, letztlich aber nur an der Oberfläche arbeitet. Das ist unzufriedenstellend und führt sogar zu Frust. Speziell zum Ende hin wird das umso deutlicher.
Die Geschichte beginnt als Mystery-Thriller. Ein Obdachloser ohne Erinnerung, der nicht in der Lage ist, Emotionen zu zeigen und darüber hinaus genug Geld besitzt, in einem edlen Restaurant zu essen. Sehr eigenartig. Aber wie wir erfahren, ist er auf der Suche nach sich selbst. Welches Anliegen der Medizin-Student genau hat, ist auch spannend, denn dieser ist viel zu sehr darauf fixiert, genau Nokoshi für seine Studie zu gewinnen, als dass alles mit rechten Dingen zugehen könnte. Alles schon mal sehr vielversprechend und natürlich kommt es nach dem Experiment auch gleich zu ein paar übernatürlichen Situationen, die noch mehr Fragen aufwerfen. Bald wird aber klar, dass Nokoshi mit seinem dritten Auge, denn eigentlich handelt es sich genau um so etwas, in die Psyche der Menschen schauen kann. Hier offenbart sich das ganze Potential der Geschichte, und Nokoshi dabei zuzusehen, wie er in die Psyche der Menschen vordringt, ist in der Tat auch aufregend. Letztlich, und zwar besonders je weiter der Film voranschreitet, werden jene Szenen aber immer enttäuschender, weil oberflächlicher.
Da es sich um einen Netflix-Film handelt, ist das Budget auch nicht unbedingt klein. Allerdings führt das dazu, dass der Fokus fast schon etwas zu stark auf dem Visuellen liegt. Ansehnlich sind die Spezialeffekte durchaus und die Visualisierungen der inneren Konflikte sind tatsächlich auch originell, aber es geht eben um das, was unter der Oberfläche liegt und da erweist sich die Geschichte um den Yakuza fast noch als die beste. Dabei ist sogar diese im Endeffekt doch etwas unspektakulär. Ein Schulmädchen, das von Nokoshi im Auto von ihrer Perversion „geheilt“ wird, sorgt immerhin für eine äußerst eigenartige, manch einen Zuschauer vielleicht sogar verstörende Szene. Gerade wenn es um den Medizin-Studenten geht, vermutet man aber ein tiefgreifendes Trauma. Als dann die Lösung präsentiert wird, muss man fast schon lachen, denn sie hätte kaum flacher ausfallen können. Dafür wird dann aber lange ein emotionaler Zusammenbruch zelebriert, ohne dass dieser wirklich gerechtfertigt wäre, denn Nokoshi hat eigentlich kaum etwas für die Heilung seines Gegenübers getan.
Andererseits geht es bei dem Film auch um die Vergangenheit des Protagonisten, die ziemlich rätselhaft ist. Als er dann eine Frau aus seiner Vergangenheit trifft, verlagert sich der Schwerpunkt des Mysterythrillers auf die Wiedergewinnung seiner Erinnerung. Hier gibt es eine ansehnliche Wendung, aber insgesamt bekommt man den Eindruck, als hätte man hier verschiedene Episoden einer Serie vor sich. Das Ende wirkt auch eher wie zufällig aufgegossen. Irgendwo könnte sich hinter all dem ein Anflug von Kunst und Besonderem verbergen, aber wahrscheinlich ist dieser eher in der Vorlage enthalten und man bekommt hier nur ein Echo davon. Go Ayano ("Ajin: Demi-Human") ist allerdings in der Lage, seinem Charakter verschiedene Nuancen zu verleihen und im weiteren Verlauf der Geschichte unterläuft sein Charakter auch sichtbar einer Wandlung. Gos schauspielerische Leistung erdet den Film, da "Homunculus" mit seiner manchmal eigenartigen Stimmung sonst leicht befremdlich hätte werden können.
Regisseur Takashi Shimizu ist kein Unbekannter, wenn es um gruselige Mysteryatmosphäre geht. Zum einen ist er natürlich für "Ju-on: The Grudge" bekannt, aber auch in "Marebito" hat er bereits eine Welt kreieren können, in der die Psyche und Isolation im Vordergrund stehen, was sich eben auch in einer rätselhaften Geschichte und einer Regie, die das Anderweltliche betont, ausdrückt. Die Idee, dass jemand durch das Schaffen eines dritten Auges (und das auch noch durch einen Bohrer!) zum perfekten Psychoanalytiker wird, ist faszinierend, aber die Psychoanalyse ist eben ein sehr komplexer Bereich und dem wird der Film am Ende absolut nicht gerecht. Hier wäre so viel Raum für faszinierende Geschichten gewesen, aber abseits von der einen oder anderen guten Idee bleibt man hier leider auf dem Trockenen. An sich ist "Homunculus" ein interessantes Filmerlebnis, aber auch eines, nach dem man hungriger nach mehr und Besserem ist. Vielleicht bietet das ja die Vorlage.