Story: Nachdem auf der Erde der Meeresspiegel immer weiter angestiegen ist, hat die Menschheit sich entschlossen, auf Weltraumstationen ihre Zukunft zu schmieden. Drei dieser Stationen haben sich allerdings von den anderen losgelöst, eine Allianz gebildet und führen seitdem Krieg gegen den Rest. Eine Heldin des Kriegs, die sich in zahlreichen Schlachten gegen die Aggressoren behaupten konnte, ist Yoon Jung-yi (Kim Hyun-joo). Allerdings ist sie bei einer Schlacht, die den Krieg hätte entscheiden können, gefallen. Seit fünfunddreißig Jahren liegt sie im Koma und ihre Tochter Yoon Seo-hyeon (Kang Soo-yeon) arbeitet als Wissenschaftlerin bei der Firma Kronoid. Sie hat das Gehirn ihrer Mutter kopiert und Kronoid versucht, damit eine KI zu kreieren, die im Gefecht unschlagbar ist. Bei den Simulationen scheitert die KI aber immer wieder an exakt der gleichen Stelle. Der Grund ist dem Team nicht klar, aber Yoons Chef Sang-hoon (Ryu Kyung-soo) ist zuversichtlich, dass das Problem noch behoben werden kann und konzentriert sich weiter darauf, mehr Gelder für das Projekt zu holen. Yoon hat jedoch ein persönliches Anliegen, das Projekt zu einem Erfolg zu machen. Es ist die Chance, ihre Mutter unsterblich zu machen. Doch obwohl sie ein Abbild ihrer Mutter hat, die sich nicht bewusst ist, dass sie eine KI ist, traut sich die Wissenschaftlerin nicht, ihr die Fragen zu stellen, die ihr auf dem Gewissen lasten...
Kritik: Wahrscheinlich würde niemand behaupten, dass Korea für außerordentlich gute Science Fiction-Filme verantwortlich ist. "Space Sweepers", ebenfalls eine Netflix-Produktion, war der bisher ambitionierteste Versuch, der teilweise vielleicht sogar in die richtige Richtung ging, wenn man den Fokus auf Marvel-ähnliche Unterhaltung legt. Aber überzeugend war jener Streifen genauso wenig, wie es "Jung_E" ist. Es ist beinahe so, als würde man, koste es, was es wolle, einen Science-Fiction-Film drehen wollen, ohne zu wissen, was die Stärken des Genres auszeichnet: Fragen zu unserer Zukunft, zum Leben und was dieses ausmacht sowie all die weiteren philosophischen Gedankengänge, die damit einhergehen. Das Genre bietet ungemein viel Raum für Gedankenspiele und sollte sich somit auch sehr gut auf einer Drama-Ebene bewegen können. "Jung_E" scheint dies tatsächlich versuchen zu wollen, scheitert aber daran, dass die Charaktere flach sind und die Aufmerksamkeit fast vollständig auf das Visuelle gelegt wurde.
Die Welt, die in diesem Sci-Fi-Streifen kreiert wurde, sollte zudem Genre-Fans nur müde lächeln lassen. Es ist kein Verbrechen, um nicht zu sagen, wohl sogar ein Muss, sich bei Isaac Asimov zu bedienen, aber wenn eigentlich alle Ideen nur recycelt werden, ohne dass es eine eigene individuelle Note gibt, ist das tragisch und kein gutes Zeichen für den weiteren Verlauf der Geschichte. "I, Robot" wird hier genauso aufgewärmt wie "Elysium". Dazu gibt es noch eine lange Vorgeschichte, die uns die Welt näherbringt, nur damit uns diese später während einer Präsentation noch einmal um die Ohren gehauen wird. Wer ist also das Zielpublikum? Nicht Liebhaber des Genres, so scheint es. Doch für Neulinge ist der Streifen viel zu kalt gehalten. Das verwundert umso mehr, da die Geschichte sich eigentlich um die Wiederbelebung einer Mutter-Kind-Beziehung und das Thema Wiedergutmachung dreht. Eine emotionale Geschichte, die erschreckend unemotional daherkommt, abgesehen von einigen wenigen deshalb umso unpassender wirkenden überdramatischen Szenen.
"Jung_E" hat überdies Probleme mit seiner Identität. Mit seiner actiongeladenen Einleitung glaubt man, zumindest später einen spannenden Mittelteil und ein spektakuläres Finale zu bekommen. Doch augenblicklich verlagert sich die Geschichte auf die Wissenschaftlerin Seo-hyeon. Das ist deshalb irritierend, weil man annehmen könnte/müsste, dass Jung-yi die Protagonistin ist. Oder ihr wenigstens eine größere Rolle zukommt, als es hier der Fall ist. Da es kaum Interaktion zwischen Seo-hyeon und ihrer Mutter gibt, funktioniert leider auch das Drama überhaupt nicht. Daneben darf Darstellerin Kang Soo-yeon, die kurz nach dem Dreh verstorben ist, weshalb ihr der Film auch gewidmet ist, kaum etwas von sich zeigen. Als Darstellerin ist Kang sicherlich über jeden Zweifel erhaben, da sie bereits 1986 für ihre Rolle in Im Kwon-taek's "The Surrogate Woman" den Preis als beste Darstellerin bei den Filmfestspielen von Venedig gewonnen hat. Nach ihrer langen Pause darf sie hier aber nur eine sehr introvertierte Person spielen, sodass ihre wenigen (sehr starken) Gefühlsausbrüche kaum zum Charakter passen.
Das Drehbuch weiß also nicht nur bei der Geschichte, sondern auch bei den Charakteren nicht, wo es hin will. Richtig nervend ist überdies Sang-hoon, der hier so etwas wie der unberechenbare Bösewicht sein soll, während er gleichzeitig für den Humor verantwortlich ist. Die Rechnung geht nicht ansatzweise auf. Da es keinen richtigen roten Faden gibt und es nach einiger Zeit bald zu einer Wende kommt, die auch den Fokus auf den Krieg unwichtig macht, fühlt man sich die ganze Zeit ziemlich orientierungslos. Eigentlich müssten die Charaktere uns in der Geschichte halten, aber das können sie wie gesagt nicht. Unglücklicherweise kann auch das Finale keine Wiedergutmachung leisten. Es gibt zwar ein wenig Action, aber keineswegs in den epischen Ausmaßen, die man sich am Anfang erhofft hatte, und vor allem fühlen wir uns emotional nicht angesprochen. Was bleibt, ist damit nur die Science-Fiction-Welt mit einigen kleinen (abgekupferten) Ideen, wie dem Umstand, dass man sein Gehirn in einen neuen Körper transferieren kann - je nach finanziellen Möglichkeiten vielleicht sogar, ohne dass die eigenen Rechte eingeschränkt werden...
Die Welt von "Jung_E" kann zumindest aus visueller Sicht ganz gut überzeugen. Die Effekte sind alles andere als schlecht, doch irgendwie wirken die Bilder häufiger so, als würde alles vor einem digitalen Bildschirm stattfinden. Die vielen kühl eingerichteten kleinen Räume kreieren ferner eine klaustrophobische Stimmung, die unglücklicherweise nicht zur Stärke des Streifens umfunktioniert wird, und so bleibt die bereits mehrfach angesprochene emotionale Distanz zum Geschehen. Wenn man dann noch hört, dass sich Regissuer Yeon Sang-ho ("Train to Busan", "Hellbound") für den Film verantwortlich zeichnet, ist die Enttäuschung perfekt. Nach fast 100 Minuten hat man das Gefühl, einen kleinen Blick in eine vielleicht interessante Welt zu bekommen, wenn das, was man hier zu sehen bekommt, nur der Auftakt zu einer Trilogie oder ähnlichem wäre. Doch um sich dafür erwärmen zu können, hat "Jung_E" wiederum kein Interesse für die Individuen erzeugen können. Wie man es dreht und wendet, "Jung_E" ist ein weiterer Science-Fiction-Eintrag, dem man aus dem Weg gehen kann.