Story: Das kleine Mädchen Mitsuko (Rie Kuwana) wird von ihrem Vater Gozo (Hiroshi Ohguchi) gezwungen, ihm und seiner Mutter Sayuri (Masumi
Miyazaki) beim Sex zuzusehen. Schließlich vergewaltigt Gozo seine Tochter regelmäßig. Nicht nur, dass die Mutter ihr nicht hilft, sie wird sogar eifersüchtig
und misshandelt ihr Kind, wenn der Vater nicht zu Hause ist. Eines Tages kommt es dann zu einem Unfall, bei dem Mitsukos Mutter stirbt. Das Mädchen glaubt nun,
stellvertretend für ihre Mutter gestorben zu sein und lebt fortan als Sayuri mit Gozo zusammen. Doch ganz kann sie die Realität nicht verleugnen und so
versucht sie, Selbstmord zu begehen. Als Resultat landet sie im Rollstuhl.
Die Autorin Taeko (Masumi Miyazaki) ist mit ihren Büchern sehr erfolgreich und arbeitet gerade an der Geschichte um das kleine Mädchen Mitsuko. Der Verlag
stellt ihr Yuji (Issei Ishida) zur Seite, um ihr bei den alltäglichen Problemen eine Hilfe zu sein, denn Taeko ist an den Rollstuhl gefesselt. Yuji ist ein
großer Fan der Autorin, soll nun aber im Auftrag des Verlags herausfinden, ob ihre Bücher autobiographisch sind...
Kritik: Es ist keine Untertreibung, "Strange Circus" als einen filmgewordenen Albtraum zu bezeichnen. Selbst in der Storyzusammenfassung
zeigen sich bereits einige Tabuthemen auf, die auf dem Bildschirm zu einem surrealen Geflecht aus Drama, Schmerz und Kunst werden. Es ist tatsächlich so, als
würde man in einem Fiebertraum mit seinen tiefliegendsten Ängsten konfrontiert. Hier geht es nicht um den Horror eines Monsters oder brutalen Killers,
sondern die zerbrechliche Psyche wird in den Vordergrund gestellt. Die Abgründe, die sich hier auftun, werden von Regisseur Sion Sono mit einer großen
Menge Wahnsinn, philosophischem Gedankengut und trunken machenden Bildern angefüllt. "Strange Circus" ist nicht leicht für den Zuschauer zu fassen, doch er
ist der Mühe wert.
Die Geschichte der Mitsuko ruft eine merkwürdig depressiv machende Trauer hervor, die der inneren Leere, die das Mädchen spürt, ziemlich ähnlich ist.
Das kleine Mädchen, das misshandelt wird, zeigt schnell pathologische Symptome. Sie tauscht mit ihrer Mutter den Platz, womit Sion Sono, der viele Sexszenen
in den Film verbaut, ein intelligentes Mittel an der Hand hat, die grausige Tat des Vaters indirekt zu zeigen. Mitsuko flüchtet sich in ihren Gedanken
oft in einen burlesken Zirkus, in dem neben ihr noch andere Freaks anzutreffen sind. Denn dass ihre Erfahrungen einen zerstörten Menschen aus ihr machen,
ist zu erwarten. Der Zirkus dient ihr als Hafen der Sicherheit und Ruhe, gleichzeitig sind hier aber noch weitere Interpretationen möglich. Die vertrackte
Geschichte verlangt ohnehin einiges an Gedankenarbeit.
Wie schon in in Sions "Suicide Club" macht auch "Strange Circus" am Ende eine extreme Wende. Mitsukos Kindheit dient
als eine Art Einleitung, während der eigentliche Film erst mit der Schriftstellerin zu beginnen scheint. Doch auch danach kehren wir immer wieder in
Rückblenden in die Kindheit zurück. Die Wendung am Ende trifft einen unerwartet und der Regisseur dekonstruiert augenblicklich seinen
gesamten Film, was der surrealen Natur des Werks die Krone aufsetzt und uns erstmal perplex zurücklässt. Dank ausführlicher Erklärungen, hier geht der
Regisseur aber so weit, dass dadurch sogar Langeweile aufkommt, hat der Zuschauer jedoch genügend Zeit auch während des Films das Bild neu zusammenzusetzen.
Das bedeutet aber nicht, dass jeder schlussendlich das Gleiche dabei herausbekommen wird.
Später stellt Sion Sono die Autorwelt der Realität entgegen und wir müssen uns fragen, wer Taeko denn nun wirklich ist. Mitsuko? Warum kann sie dann laufen?
Die Vielzahl an Symptomen, welche die kranken Individuen mit sich tragen, und die Art, wie der Regisseur diese auf seine ganz spezielle surreale Weise glaubhaft
zeichnet, machen fast schon Angst. "Das ist doch krank!", wird man sich an zahllosen Stellen denken. Mitsuko muss in einem Cellokasten untergebracht ihren
Eltern beim Geschlechtsverkehr zusehen, der Vater feiert später Orgien in seinem Haus, während seine Tochter im Rollstuhl apathisch durch die Zimmer rollt,
Taeko schreibt in einem geheimen Zimmer, in dem sie ihr Messie-Dasein ausleben kann, ihre Geschichten und unterhält sich gleichzeitig mit einem Cellokasten.
Oder befindet sich sogar jemand darin?!
Anders als z.B. in "Noriko's Dinner Table" legt Sion Sono nun auch etwas mehr Wert auf das Visuelle. Die Farben sind stellenweise bunt, die Bilder insgesamt ausdrucksstark und so kommt das Surreale im Film gut zur Geltung. Neben den zahlreichen Sexszenen gibt es auch einige recht blutige Bilder. "Strange Circus" ist kein (S)exploitation-Streifen, sondern viel eher Kunst. In einer Szene, in der augenscheinlich eine echte OP gezeigt wird, kann einem im Übrigen auch durchaus schlecht werden. Viel schlimmer ist aber die Welt, die der Regisseur hier kreiert. Das Leben wird in solch kranken Farben gezeichnet, dass man sich nichts sehnlicher als die Erlösung wünscht. Man mag diese am Schluss erlangen, aber es kostet viel Kraft, es bis dorthin zu schaffen.