Story: Soon-ho (Jung Woo-sung) ist ein Anwalt, der seit Kurzem in einer Anwaltskanzlei arbeitet, in der er sich einen baldigen Aufstieg erhofft. Bisher war er ein Idealist, aber wegen der Schulden, die sein nun bei ihm wohnender Vater gemacht hat, versucht er jetzt Karriere zu machen. Sein neuester Fall könnte ihm das Sprungbrett sein, das er sich erhofft hat. Es geht um einen vermeintlichen Mord. Seine Klientin Mi-ran (Yum Hye-ran) soll einen alten Mann umgebracht haben. Sie erklärt, dass sich dieser selbst mit einer Plastiktüte erstickt hat. Der einzige Grund, warum sie in Untersuchungshaft sitzt, ist das Mädchen Ji-woo (Kim Hyang-gi), das den Mord durch ein Fenster gesehen haben soll. Soon-hos erster Anlaufpunkt ist daher auch Ji-woo. Allerdings ist diese Autistin. Die Mutter des Mädchens, Hyeon-jeong (Jang Young-nam), will, dass man ihre Tochter in Ruhe lässt, da die ganze Situation sie bereits mehr als genug belastet. Soon-ho fängt Ji-woo daher auf dem Schulweg ab, aber das Mädchen redet nicht mit ihm. Der Anwalt hat Probleme einen Zugang zu dem Mädchen zu bekommen, da er sich mit Autismus nicht auskennt. Für seinen Fall hat er aber sehr gute Karten, da man die Glaubwürdigkeit einer Autistin mit Leichtigkeit in Abrede stellen kann. Sein momentaner Fall scheint daher nur eine Formalität zu sein und seinen nächsten Auftrag, bei dem sich Soon-ho sogar die Hände schmutzig machen muss, hat der Anwalt mitsamt einer Beförderung auch schon in der Tasche. Doch mit der Zeit lernt er die Welt immer mehr durch Ji-woos Augen zu sehen und ihm kommen Zweifel, ob er Geld über alles stellen sollte...
Kritik: "Innocent Witness" ist genau die Art von Film, die man erwartet, wenn man das Poster sieht. Es ist kein Thriller, was bei dem Titel durchaus auch möglich gewesen wäre. Denn die Fronten sind gleich zu Beginn festgelegt und es geht genaugenommen auch gar nicht um Schuld oder Unschuld. Im Vordergrund steht vielmehr die besondere Beziehung zwischen dem Anwalt und dem autistischen Mädchen, die irgendwann die naive Frage in den Raum wirft, ob Soon-ho ein guter Mensch ist. Und das ist für den Mann in seinen Vierzigern gar nicht so leicht zu beantworten. Die Wärme, die der Film ausstrahlt, ist der Grund, dass man von Anfang bis Ende von der Geschichte gefangengenommen wird. Originalitätspunkte bekommt der Sreifen leider nicht, da die Geschichte sehr klassisch erzählt wird und es keinerlei Überraschungen gibt. Das ist aber auch nicht nötig, denn die beiden Hauptcharaktere tragen den Film ohne Probleme. Glücklicherweise hat man bei der herzerwärmenden Geschichte auch auf Kitsch verzichtet.
Wer Regisseur Lee Han und seine Werke wie "Punch" und "Thread of Lies" kennt, weiß, dass seine Handschrift eine besondere Nähe zum Geschehen und Emotionalität ist, ohne dabei auf billige Mittel wie manipulative Musik oder Bäche an Tränen setzen zu müssen. Auch diesmal ist das nicht anders. Die Art, wie sich der Anwalt und die Schülerin näherkommen, ist oft gewollt ungeschickt und das macht den besonderen Reiz der Geschehnisse auf dem Bildschirm aus. Hinsichtlich Autisten hat der Großteil der Bevölkerung bestimmte Vorurteile und mit diesen wird auch Soon-ho konfrontiert. Irgendwann ist er aber bereit, die Perspektive des Mädchens anzunehmen, die für seinen Fall eigentlich ein großes Problem darstellt. Natürlich schwebt über der sich anbahnenden Freundschaft das Damoklesschwert, dass der Anwalt dem Mädchen nur näherkommen will, um ihre Aussage und sie als Person im Zeugenstand diskreditieren zu können.
Das legt den Fokus nochmal auf Soon-ho, der früher wohl Idealist war. Das beweist eine Nebengeschichte mit einer Frau, die eigentlich ein Liebesinteresse darstellt, von der er sich aber immer weiter entfernt, weil er sich nun dem Geld verschrieben hat. Dadurch sinkt er in ihrem Ansehen immer weiter und auch Soon-ho hat damit zu kämpfen. Eine gewisse Entschlossenheit ist bei ihm aber ebenso zu bemerken. Welche andere Wahl hat er auch, da sein Vater große Schulden hat? Die Nebengeschichte mit dem Vater bietet auch Raum für ein paar humoristische Momente und macht den Anwalt insgesamt etwas plastischer. Jung Woo-sung ("Steel Rain") ist, wenn man ehrlich ist, kein besonders guter Darsteller. Aber er passt in Rollen, in denen es um jemanden geht, der eigentlich ein guter Kerl ist. Schließlich haftet seinem Blick etwas Unschuldig-Treues an. In ein paar Szenen sieht man aber, wie Jung an seine Grenzen stößt. Zum Glück schadet das dem Film im Gesamten nicht.
Das bringt uns auch zum größten Problem von "Innocent Witness". Genauso wie nie ein Zweifel daran besteht, dass Soon-ho ein guter Kerl ist, weiß man auch schon zu Beginn, wie die Geschichte ausgehen wird. Auch die Wendung ist bereits Meilen im Voraus zu erkennen und hat mit einem geäußerten Satz zu tun, der jedem vernünftigen Menschen verdächtig vorkommen müsste, es sei denn, er hält Autisten für Schwachsinnige. Die Ermittlung selbst ist auch unspektakulär, die Fakten werden nach und nach auf den Tisch gelegt und das dann auch vor Gericht, wie sich das gehört. Obwohl ein guter Teil des Films an einem Gericht spielt, hat man aber nicht das Gefühl, ein Gerichtsdrama zu sehen. Dafür ist die Atmosphäre einfach zu warm. Auch das ist Lee Han und seinem Auge für gute Bildkomposition zu verdanken. Narrativ wäre es aber schön gewesen, den Gewissenskonflikt des Anwalts etwas ausgearbeiteter präsentiert zu bekommen.
Es besteht kein Zweifel, dass der Regisseur und Darstellerin Kim Hyang-gi ("Along with the Gods: Two Worlds") sich auch viel Mühe gegeben haben, respektvoll an die Porträtierung von Autismus heranzugehen. Kim zeigt in ihrem Schauspiel feine Nuancen und ihr Charakter lebt zwar in ihrer eigenen Welt, ist aber durchaus in der Lage mit anderen Menschen zu interagieren. Dies geschieht zwar manchmal etwas unbedarft und ist damit auch Anlass für ein paar humoristische Szenen, sorgt dann wiederum aber auch für einige der ergreifendsten Momente. Diese Mischung ist zwar nichts Neues, man denke nur in den letzten Jahren an die Netflix-Serie "Atypical", aber es funktioniert. Das Ende ist leider etwas zu sehr nach altbekanntem Schema gestrickt, aber die besondere Freundschaft, die im Laufe des Films erwächst, ist genau das Richtige, wenn man einen unkitschigen, aber rührenden Film sehen möchte. Eben genau Regisseur Lee Hans Spezialität.